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Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus

Titel: Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dawkins
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wahrscheinlichere Theorie zu finden. Können wir also bitte Spekulationen über relativ wahrscheinliche Wege vorbringen, wie die kumulative Selektion begonnen haben könnte?
    Negative Assoziationen des Wortes »spekulieren« sind hier völlig fehl am Platze. Wir können nichts anderes erwarten als Spekulation, wenn die Ereignisse, über die wir sprechen, vor vier Milliarden Jahren und noch dazu in einer Welt stattgefunden haben, die von der heutigen radikal verschieden gewesen sein muß. Beispielsweise gab es fast mit Sicherheit keinen freien Sauerstoff in der Atmosphäre. Wenn sich auch der Chemismus der Welt verändert hat, ihre Gesetze sind die gleichen geblieben (deshalb heißen sie Gesetze), und moderne Chemiker wissen genug darüber, um einige gut fundierte Spekulationen anstellen zu können: diese Spekulationen müssen rigorose, von den Gesetzen auferlegte Glaubwürdigkeitstests bestehen. Man kann nicht einfach wild und unverantwortlich herumspekulieren und seine Phantasie wuchern lassen, wie z. B. in Space-Fiction-Romanen bei so unbefriedigenden Universalheilmitteln wie »Hyperdrive«, »Zeitverzerrung« usw. Von allen möglichen Spekulationen über die Entstehung von Leben verstoßen die meisten gegen die Regeln der Chemie und müssen unbeachtet bleiben, selbst wenn wir unser statistisches Rückzugsargument über Planetenzahlen bis zur äußersten Grenze strapazieren. Sorgfältige selektive Spekulation ist daher eine konstruktive Übung. Aber dafür muß man Chemiker sein.
    Ich bin Biologe, nicht Chemiker, und ich muß mich darauf verlassen, daß die Chemiker ihre Summen richtig addieren.
    Die einzelnen Chemiker bevorzugen verschiedene Lieblingstheorien, daran herrscht kein Mangel. Ich könnte den Versuch machen, dem Leser alle Theorien unkommentiert vorzulegen. Das wäre für ein Studentenlehrbuch angebracht. Doch das hier ist kein Lehrbuch. Die grundlegende Idee des Blinden Uhrmachers ist, daß wir keinen Baumeister voraussetzen müssen, um das Leben oder irgend etwas sonst im Universum zu verstehen. Wir müssen hier die Art von Lösung finden, die der Art unseres Problems entspricht. Und das läßt sich wohl am besten dadurch erklären, daß wir uns nicht mit Unmengen von speziellen Theorien befassen, sondern indem wir uns eine als Beispiel dafür ansehen, wie das Grundproblem - die Frage des Beginns der kumulativen Selektion - gelöst werden könnte.
    Welche Theorie soll ich nun als repräsentatives Beispiel aus wählen? In den meisten Lehrbüchern wird das größte Gewicht der Theoriengruppe beigemessen, die auf einer organischen »Ursuppe« aufbaut. Es scheint wahrscheinlich, daß die Atmosphäre der Erde vor Beginn des Lebens der anderer Planeten ähnelte, die noch ohne Leben sind. Es gab keinen Sauerstoff, eine Fülle von Wasserstoff und Wasser, Kohlendioxyd, sehr wahrscheinlich etwas Ammoniak, Methan und andere einfache organische Gase. Die Chemiker wissen, daß derartige sauerstofffreie Klimata dazu neigen, die spontane Synthese organischer Verbindungen zu fördern. Sie rekonstruierten in ihren Glaskolben die Bedingungen auf der jungen Erde en miniature und schickten dann Blitzschläge simulierende elektrische Funken durch die Kolben hindurch sowie ultraviolettes Licht, das viel stärker gewesen sein muß, als die Erde noch keine vor den UV-Strahlen schützende Ozonschicht hatte. Die Resultate dieser Experimente waren aufregend. Organische Moleküle, einige von ihnen dieselben Grundtypen, wie man sie gewöhnlich nur in lebenden Dingen vorfindet, setzten sich in diesen Kolben spontan zusammen. Es entstanden weder DNS noch RNS, wohl aber die Bausteine dieser großen Moleküle, die wir als Purine und Pyrimidine bezeichnen. Ebenso die Bausteine der Proteine, die Aminosäuren. Das fehlende Glied in dieser Klasse von Theorien ist jedoch immer noch die Entstehung der Replikation. Die Bausteine fügten sich nicht zusammen, um eine sich selbst kopierende Kette wie RNS zu bilden. Vielleicht tun sie das eines Tages noch.
    Doch wie dem auch sei, es ist nicht die Theorie der organischen Ursuppe, die ich zur Illustration der zu findenden Lösung ausgesucht habe. Ich habe diese in meinem ersten Buch, The Selfish Gene (Das egoistische Gen, 1978), dargestellt und meine nun, ich könnte in diesem Buch eine in gewisser Weise weniger beliebte Theorie (die allerdings in jüngster Zeit an Boden gewinnt) vorstellen, die, wie mir scheint, zumindest eine vage Chance hat, richtig zu sein. Ihre Gewagtheit ist verlockend und

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