Der Blut-Mythos
Wirklichkeit?
Auf einmal war die Stimme da. Dicht an meinem rechten Ohr. Ich hörte nur einen Satz. »Sinclair, ich bin da!«
Die Schrecksekunde hatte ich rasch überwunden. »Wo steckst du?«
»Ich bin da, aber die anderen auch. Vorsicht!«
Mehr sagte der Unbekannte nicht. Auch als ich ruckartig den Kopf drehte, war nichts zu sehen. Innerhalb der Schatten schien er sich aufgelöst zu haben, und mir wurde auch nichts mehr gesagt. Ich war wieder allein. Der Besucher mußte sich in die Schatten hineingedrückt haben und war zusammen mit ihnen verschwunden.
Sosehr ich mich auch bemühte, ich bekam ihn nicht mehr zu Gesicht. Er war einfach abgetaucht, und ich mußte erst einmal durchatmen.
In den letzten Sekunden hatte ich eine Gänsehaut bekommen, die nur langsam wich. Eines hatte dieser Besuch gezeigt: Die Botschaft war keine Finte gewesen. Auf diesem Rummel wartete jemand auf mich!
Die erste schnelle Begegnung war leider zu flüchtig gewesen. Ich hatte nichts sehen können, aber die Fahrt ging weiter. Nun nicht mehr in die Höhe, sondern auf einer Geraden. Ich überfuhr einen Kontakt, und vor mir leuchtete plötzlich die Umgebung einer Tür auf, gegen die der kleine Wagen fuhr. Er rammte die Tür auf, und ich erlebte die nächste Überraschung, denn mein Wagen erreichte ein düsteres Gewölbe. Perfekt nachgemacht. Ein alter Stollen mit Holzstreben an Wänden und Decke. Der Wagen schien ein altes Bergwerk erreicht zu haben.
Insgesamt waren es fünf Wagen, die abgebremst wurden und einen Halbkreis bildeten. Vor mir sah ich auch die Köpfe der beiden Teenager. Keines der Mädchen schrie mehr. Auch in den anderen Wagen wurde sich nur flüsternd unterhalten, denn niemand wußte so recht, was folgen würde.
Aus irgendwelchen Ritzen sickerte Licht hervor. Ein unheimlicher Schein, der unsere Gesichter blaß-düster erscheinen ließ.
Ich saß allein in einem Wagen und konnte mich ungehindert umschauen. Natürlich ging mir die Begegnung mit dem Fremden nicht aus dem Kopf. Ich konnte mir gut vorstellen, ihn auch hier auftauchen zu sehen, aber das mußte man zunächst einmal abwarten.
Zunächst geschah nichts.
Man wartete einige Sekunden, bis auch der letzte Wagen am Ziel eintraf.
Ich war im letzten gewesen. Plötzlich hörten wir alle das schaurige Lachen, das uns zusammenzucken ließ. Selbst ich war davon unangenehm berührt. Während das Lachen allmählich abflaute, schwang eine Stimme hinein, die sich dem Laut angepaßt hatte und ebenfalls aus einer tiefen Gruft hätte stammen können.
Sie sprach mit düsteren Worten und verbreitete eine ebenso düstere Botschaft, die uns erschrecken sollte.
»Ihr seid in die Gruft des Todes hineingefahren!« sagte die Stimme. »Damit wißt ihr aber noch nicht, was ihr euch angetan habt. In dieser alten Gruft lauert ein noch älterer Mythos. Eine unheimliche Gestalt auf der Suche nach Menschenblut und Menschenfleisch. Fr kann nie genug davon bekommen. Er ist unersättlich! Schon viele haben versucht, ihn satt zu bekommen, aber keinem ist es gelungen. Dieser Blut-Mythos wird alle fressen - wirklich alle!«
Es war eine düstere Ankündigung, die auch auf fruchtbaren Boden traf, denn einige der zumeist jungen Fahrgäste zeigten sich leicht geschockt und stöhnten auf.
Noch hatte sich optisch nichts getan. Weiterhin blieb die graue Düsternis wie ein Gespenst über uns liegen. Es gab auch einen Mittelpunkt, und es gab die alten Wände und die Decke.
Von dort aus klangen die ersten Geräusche auf. Ein düsteres, unheimliches Knirschen, als würden die Wände einstürzen. Auch von der Decke klangen die Geräusche herab und waren wirklich perfekt nachgeahmt, so daß man wirklich Angst bekommen konnte. Besonders in dieser grauen Düsternis.
Es gab nicht einen, der sich nicht bewegt hätte. Auch ich bildete keine Ausnahme. Ich schaute mich um und sah, wie sich die Wände und letztendlich auch die Decke auf mich zubewegte. Von den beiden Breitseiten her rückten die Wände näher zusammen, und auch die Decke senkte sich allmählich tiefer.
Das Geräusch zog sich dabei etwas zurück, damit die düstere Grabesstimme deutlicher gehört werden konnte. »Aus dieser Gruft ist noch niemand entkommen. Immer wieder hat sie die Menschen gefressen. Sie mag das Blut, sie mag das Fleisch. Sie wird es aufsaugen, sie frißt die Menschen und kann sich durch sie erneuern. Ihr seid zu mutig gewesen«, erklärte die Stimme, die plötzlich in einem düsteren Lachanfall endete.
Nur das Knirschen war
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