Der Blutkelch
ist.«
»Baithen hatte den Rang eines
ollamh
, den höchstmöglichen Rang in der Rechtsprechung. Du aber …«
»Ich habe den Rang eines
anruth
, den zweithöchsten nach dem
ollamh
. Das hat selbst dem Hochkönig genügt, wenn esdarum ging, mich in rechtlichen Fragen zu konsultieren, und den Gebietskönigen sowieso.«
»Es ging mir beileibe nicht um mangelnde Anerkennung, meine Tochter«, erwiderte Ségdae. »Es ist nur, dass es im Rat der Brehons von Muman manch andere gibt, die über den Rang eines
ollamh
verfügen. Was würden die denken, wenn man sie übergeht und dein Bruder dich in das Amt beruft? Würde es nicht heißen – ah, sie ist die Schwester des Königs, und uns übergeht man einfach. Würde man mit einer solchen Entscheidung nicht Zwietracht im Königreich säen?«
Herausfordernd blickte Fidelma ihn an. »Wenn meinem Bruder die Ernennung gefällt, sehe ich nicht, weshalb sich sein Volk dagegen stellen sollte.«
Abermals wiegte der Abt nachdenklich sein Haupt. »Manchmal setzt du mich in Erstaunen, meine Tochter.«
»Ich bin gekommen, um dir meine Absicht mitzuteilen, den Dienst im Kloster aufzugeben und in Zukunft nur noch Anwältin zu sein, ohne andere Interessen im Hinterkopf haben zu müssen. Ich frage dich als Obersten Bischof des Königreiches, habe ich deinen Segen oder nicht?«
»So einfach ist das nicht«, erwiderte der Abt entschieden. »Ich muss mich diesbezüglich beraten; ich muss mit deinem Bruder, dem König, reden. Um ehrlich zu sein, ich bin mir nicht sicher, ob ich von dem Sachverhalt in seiner Gänze unterrichtet bin.«
»Ich habe nichts Unwahres gesagt.«
»Ich habe nicht gemeint, dass du mir etwas Unwahres gesagt hättest, sondern nur, dass du mir etwas vorenthalten hast, das mir möglicherweise geholfen hätte, deine Überlegungen besser zu verstehen. Vielleicht gestehst du dir das selbst nicht ein.«
Sie schniefte verächtlich. »Das, was für meine Entscheidungwesentlich ist, habe ich dir nicht verheimlicht, und wenn dir das nicht genügt, kann ich es nicht ändern. Mit deinem gütigen Einverständnis gehe ich jetzt, Ségdae, aber lass mich das eine festhalten – ich habe dich von dem, was ich zu tun gedenke, in Kenntnis gesetzt, und ganz gleich, ob ich deinen Segen habe oder nicht, ich lasse mich davon nicht abbringen.«
Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und verließ das Gemach.
Abt Ségdae saß etliche Augenblicke regungslos da und starrte auf die Tür, die sie hinter sich zugeschlagen hatte. Dann seufzte er tief.
»Hast du das gehört?«, fragte er leise.
Der Vorhang, der über der türähnlichen Absperrung hing und das Gästezimmer vom Schlafbereich trennte, wurde zur Seite gezogen.
Der Verwalter des Abts kam zum Vorschein. Bruder Madagan war ein großer Mann mit hageren, ernsten Gesichtszügen und dunklen, grüblerischen, tiefliegenden Augen.
»Ja.«
»Und was sagst du dazu?«
»Es widerstrebt mir, einen freilebenden Vogel in einen Käfig zu sperren.«
Der Abt runzelte die Stirn, verstand dann aber, was sein Verwalter zum Ausdruck bringen wollte, und lächelte ihn an.
»Wir wissen seit vielen Jahren, dass Fidelma eine eigenständige Persönlichkeit ist. Sie lässt sich von niemandem in ihre Angelegenheiten hineinreden. Wenn sie von der Richtigkeit dessen, was sie sich vorgenommen hat, überzeugt ist, wird man nichts mehr machen können.«
»Genau so ist es.«
»Aber was, wenn sie den falschen Weg geht?«, fragte derAbt. »Haben wir nicht die Pflicht, sie von ihm abzubringen?«
»Besser, sie wählt ihn sich selbst, als dass man ihr einen Weg vorschreibt, über den sie sich ärgert und den Ärger an den Menschen auslässt, die ihn ihr aufgeschwatzt haben. Wenn es der falsche Weg ist, wird sie recht bald selbst dahinterkommen und umkehren. Wenn es aber der richtige Weg ist … Warum sollten wir sie nicht einfach ermutigen?«
»Du bist jederzeit ein guter Ratgeber, Bruder Madagan. Ich frage mich, ob sie weiß, dass die meisten aus dem Rat der Brehons für Brehon Aillín vom Stamm der Eóghanacht Glendamnach als zukünftigen Obersten Brehon plädieren.«
»Ich glaub nicht, dass sie das in ihren ehrgeizigen Plänen stört.«
Eine Weile saß Abt Ségdae gedankenverloren da. Dann verzog er das Gesicht. »Ich kann mich nicht des Gefühls erwehren, dass da etwas nicht stimmt. Ich glaube, hinter ihrer Entscheidung, sich vom Kloster zu trennen, steckt mehr als der bloße Ehrgeiz, sich beruflich voll und ganz der Rechtsprechung zu widmen.«
»Meinst
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