Der Blutkelch
dich verlassen und sich zur Klostergemeinschaft des heiligen Rúan hingezogen gefühlt?«
»Ein Wort gab das andere«, gestand Fidelma. »Dann hab ich ihm gesagt, er solle gehen. Besser, er kommt bald selbst dahinter, als missgestimmt weiterzumachen wie bisher.«
Ihr Bruder verzog spöttisch das Gesicht.
»Du hast ihm gesagt, er solle gehen? Einem Mann wie Eadulf sagen, was er zu tun habe?«, murmelte er vor sich hin.
»Du weißt genauso gut wie ich, dass es unser Vetter Laisran war, der mich seinerzeit überredete, Nonne zu werden«, erinnerte ihn Fidelma. »Ich bin nicht gewillt, mich der Aufgabe zu verschreiben, den Glauben zu verbreiten, ich möchte eher um Wahrheitsliebe und Gerechtigkeit im Sinne des Gesetzes ringen, um den Willen, danach zu leben. Was mich betrifft, so stehen Recht und Ordnung an erster Stelle, der Glaube an zweiter. Deshalb habe ich mich entschlossen, den Schleier wieder abzulegen und mich voll und ganz den Pflichten eines Brehon zu widmen.«
Ihr Bruder schmunzelte. »In der Erwartung, dass ich dich,wenn der Rat nächste Woche zusammenkommt, zum Obersten Brehon ernenne?«
Zornesröte stieg ihr ins Gesicht.
»Ich werde mich hüten, dich dahingehend zu beeinflussen. Du weißt, welche Arbeit ich geleistet habe; der Ruf, den ich mir erworben habe, ist mein bester Anwalt.«
»Und was hat Eadulf dazu gemeint?«
»Wie schon gesagt, er wollte, dass ich davon ablasse und mich mit ihm in die Abtei des heiligen Rúan zurückziehe. Ich habe ihm deutlich zu verstehen gegeben, wenn es ihm nur darum ginge, dann müsste er alleine gehen. Er müsste meine Wünsche respektieren.«
»Und Eadulfs Wünsche? Müssen die nicht respektiert werden?«
»Das ist nicht das Gleiche.«
»Nicht das Gleiche?«, fragte Colgú betroffen.
»Seit Erreichung des Wahlalters, des
amsir togú
, ist Recht das Einzige, was mich wirklich interessiert. Deshalb habe ich alles daran gesetzt, dass mir unsere Pflegeeltern erlaubten, an der Hohen Schule von Brehon Morann zu studieren. Vielleicht, wenn ich nicht auf unseren Vetter, Abt Laisran, gehört hätte …«
»Wenn, Fidelma? Was dann?« Ihr Bruder konnte sich eines Lächelns nicht erwehren. »Du bist die Letzte, die mit dem ›Wenn‹-Spiel anfangen darf. Hast du nicht früher immer gesagt, mit einem ›Wenn‹ könntest du Tara und den ganzen Palast des Hochkönigs in einer Flasche unterbringen?«
Fidelma stand der Sinn nicht nach Humor; sie winkte ab.
»Es ändert nichts an der Lage der Dinge. Ich möchte mich mit Leib und Seele für die Rechtspflege einsetzen. Es ist ein Gebiet, das mich seit meiner Kindheit beschäftigt, das ichstudiert habe und auf dem ich meine Fähigkeiten bewiesen habe. Es bleibt dabei, ich trenne mich von dem Kloster, egal, ob mit oder ohne Abt Ségdaes Segen.«
»Und egal, ob mit oder ohne Einverständnis deines Mannes?«
Fidelma blickte ihren Bruder fest an, ihre Augen blitzten bedrohlich. »Wenn es nicht anders geht, dann auch ohne sein Einverständnis.«
Beide schwiegen. Colgú erhob sich zögernd und ging hinüber zum Feuer, verharrte dort und schaute in die Flammen, mit einer Hand am Steinsims abgestützt. Schließlich wandte er sich halb über die Schulter hinweg Fidelma zu.
»Also gut. Ich will dir nicht vorenthalten, dass ich die Sache mit Abt Ségdae besprochen habe. Du bist eine viel zu gute Anwältin, als dass man dein Talent brachliegen lassen dürfte. Das bedeutet aber nicht, dass ich dein Streben, Oberster Brehon zu werden, besonders unterstützen werde. Ich werde mich neutral verhalten. Der Rat der Brehons mag die Entscheidung fällen.«
Fidelma strahlte ihn an. »Ich stelle mich dem, der Rat wird gewiss richtig entscheiden.«
Colgú krauste streng die Stirn. »Seine Entscheidung bleibt abzuwarten, aber sie gilt. Derweil gibt es leider Wichtigeres zu bedenken.«
Fidelma war bereits auf dem Weg zur Tür; sie blieb stehen und schaute erwartungsvoll zurück.
»Es existiert da eine Bedingung, auf die Abt Ségdae und ich uns geeinigt haben und die mit dir zu tun hat.«
»Eine Bedingung?« Fidelma kam wieder in die Mitte des Raums und blickte ihren Bruder argwöhnisch an.
»Dir ist die Abtei von Lios Mór wohlbekannt.« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.
»Selbstverständlich. Ich habe in der Abtei in unerheblichen Fragen Gericht gehalten, als Bruder Cathal in Abwesenheit von Abt Iarnla dem Haus vorstand.«
»Du kennst aber Abt Iarnla?«
»Ja, wenn auch nicht allzu gut. Ich bin ihm nur kurz
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