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Der Blutkelch

Der Blutkelch

Titel: Der Blutkelch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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KAPITEL 1
    Schneetreiben hatte eingesetzt. Die schweren nassen Flocken schlugen ihnen kalt ins Gesicht, blieben hängen, nahmen ihnen die Sicht auf den Pfad neben dem Fluss und legten sich als weitere Schicht auf die bereits dick verschneite Landschaft. Die niedrigen Berge, die sie zu beiden Seiten des Stroms umgaben, verschwanden unter dem weißen Leichentuch, schon seit Wochen waren sie unter der Schneelast begraben. Kein Vogel ließ sich hören, noch sonst ein Tier, es hatten wohl alle beizeiten Unterschlupf gesucht. Über dem Heideland und den Bäumen hing eine merkwürdige Stille, selbst ihre Tritte dämpfte der Schnee, der dicht und weich unter ihren Füßen lag. Nur der Strom zu ihrer Rechten machte sich mit stetem Rauschen und Grollen bemerkbar, während er sich seinen dunklen, breiten und strudelreichen Weg durch die weiße Umgebung bahnte.
    »Ist es noch weit?«
    Der große, bärtige Mann, der voranging, verlangsamte nicht seine gleichmäßigen Schritte. »Nicht mehr weit!«, rief er, ohne den Kopf zu wenden. Seit sie die kleine Siedlung verlassen hatten, hatte sein Begleiter, der ihm nacheilte, schon mehrfach die gleiche Frage gestellt. Er war von schmächtiger Statur, etwa dreißig Jahre alt und hatte die dunkelbraune Wollkutte eines Mönchs um sich gezogen. Nicht zum erstenMal hatte der große, stämmige Führer im warmen Jagdmantel aus Dachsfell geduldig auf die Frage geantwortet, während sie auf dem Uferpfad dahinstapften. Es war später Nachmittag, und erst kurz zuvor hatte es zu schneien begonnen. Ehe noch die Landschaft im Flockenwirbel verschwand, hatte der Mönch besorgt zu den grauen Schneewolken hochgeschaut, die den Himmel im Osten verdeckten. Sie hatten sich düster drohend über der Bergkette zusammengeballt und verkündet, dass der Tag zur Neige ging und weiterer Schneefall bevorstand.
    »Werden wir dort sein, bevor es dunkel ist?«, fragte er besorgt und versuchte, die schweren Flocken fortzuwischen, die ihm an Brauen und Lidern hafteten. Das Licht schien unwirklich, auch war es spürbar kälter geworden.
    »Auf alle Fälle«, bestätigte ihm sein Führer. Dann lachte der Mann plötzlich vor sich hin und spöttelte mit seiner kehligen Stimme: »Sei unbesorgt, kleiner Bruder, dein Gott wird dich doch selbst in so einer Gegend wie der unsrigen auch nach Einbruch der Nacht beschirmen, oder nicht?«
    »Mir kommt es lediglich darauf an, dass ich da, wo wir hinwollen, noch etwas sehen kann.« Seine Erwiderung klang steif, als müsste er sich verteidigen.
    »Für einen von deinem Glauben ist es schon seltsam, gerade dort etwas sehen zu wollen.«
    Der Mönch blieb ihm die Antwort schuldig, und der Jägersmann zuckte gleichmütig die Achseln. Es ging ihn ja nichts an, warum dieser fremde Pilger um seine Dienste als wegekundiger Führer gebeten hatte. Eigentlich war es Pater Audovald gewesen, der ihm aufgetragen hatte, dem Fremdling den Weg zu weisen. Pater Audovald war der betagte Priester der dem heiligen Martin geweihten Kapelle. Man achtete ihn als Vorsteher der kleinen Siedlung Bingium anden Ufern des großen Flusses Renos. Er hatte Huneric gesagt, er wisse auch nur, dass dieser Mann früh am Morgen angekommen sei. Der Fremde sei auf einem der schweren, stromabwärts fahrenden Lastkähne angereist, sei an Land gegangen und habe nach einem Wegekundigen gefragt. Man hatte ihn zu Pater Audovald gebracht, und der hatte Huneric beauftragt, den Neuankömmling dorthin zu geleiten, wo er hinwollte.
    Huneric stand im Ruf, ein Jäger zu sein, der jeden Fußbreit in den Wäldern und Hügeln entlang des Stroms kannte. Er hatte mehrfach den fremdländischen Mönch verstohlen beäugt und abzuschätzen versucht, woher er eigentlich war. Der Pilger war aus dem Süden gekommen, so viel wusste er. Trotz der Winterzeit war das Gesicht sonnengebräunt, aber der Mann hörte sich nicht so an und sah auch nicht so aus, als stamme er aus den südlichen Ländern am Mittelmeer. Die braunen Wangen hatten Sommersprossen, und das Haar, soweit Huneric es ausmachen konnte, war kupferfarben. Der Fremdling sprach fließend Latein, das war die Sprache, in der sie sich verständigen konnten, wenn es auch ein gepflegtes und altertümliches Latein war, verglichen mit der ungehobelten Umgangssprache, der sich Huneric bediente, wenn er mit den Galliern Handel trieb.
    Der Pfad wand sich ein wenig landeinwärts und führte auf ein Waldstück zu. Lediglich der Umstand, dass der Schnee an den Rändern höher lag als in der Mitte, ließ

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