Der Blutkelch
die Verteidigung vor Gericht für sie übernommen, als man sie des Mordes beschuldigt und er ihre Schuldlosigkeit nachgewiesen hatte. Sie vertraute ihm. Gemeinsam hatten sie vieles durchgestanden. Es schmerzte sie, als er nicht verstehen wollte, wie viel ihr der Beruf und die Rechtsprechung bedeuteten, und aus ihrem Verletztsein heraus hatte sie auf seinen Vorschlag, sich aus Cashel zurückzuziehen, sich einer frommen Gemeinschaft anzuschließen und sich nur in religiöse Gedankengänge zu vertiefen, sehr heftig reagiert.
Bekümmert wiegte sie sich hin und her.
Und dann war da noch ihr gemeinsamer Sohn, der kleine Alchú. Sie dachte an das, was sie damals nach seiner Geburt vor gut drei Jahren empfunden hatte, und fühlte sich schuldig. Sie hatte sich anfangs innerlich gegen die Geburt ihres Sohnes gewehrt. Sie hatte sich durch das Kind in ihrem Wirken eingeengt gefühlt und sich nicht an die neue Art von Verantwortung gewöhnen wollen. Als man sie dann gebeten hatte, in der großen Abtei von Finnbarr eine Serie von Morden aufzuklären, hatte sie sich wundervoll frei gefühlt, doch kaum kehrte sie nach Cashel zurück, schlug das um inDepression. Sie liebte ihr Kind, bekannte sich leidenschaftlich zu ihm. Zu leidenschaftlich? Nach seiner Geburt hatte sie sich mit allen möglichen selbstzerstörerischen Gedanken herumschlagen müssen. Das war sogar so weit gegangen, dass sie in Frage stellte, ob sie reif für eine Ehe war … mit wem auch immer.
Und Eadulf? Ihre Gedanken kehrten wieder zu ihm zurück. Sie machte sich Sorgen um ihn. Schon immer hatte sie beschäftigt, dass nach dem geltenden Recht in ihrem Land ihre Ehe nicht standesgemäß war. Fidelma stammte aus königlichem Haus, und Eadulf hatte als Fremdländischer nicht die gleichen Standesrechte. Belastete das Eadulf immer noch? Ihr war bewusst, dass sie sich ein Leben ohne Eadulfs Beistand nicht vorstellen konnte, ohne die Toleranz, mit der er ihrem unbeherrschten Temperament begegnete, das, wie sie zugeben musste, ihr größter Fehler war. Wenn sie mit sich ehrlich ins Gericht ging, so waren ihr Eadulfs Liebe, seine Freundschaft und seine Duldsamkeit eine Wohltat. Vielleicht hatte sie das alles als zu selbstverständlich hingenommen, und als er ihr vor ein paar Wochen seinen Entschluss mitgeteilt hatte, Cashel zu verlassen … ja, da war es zu einem erbitterten Wortgefecht gekommen. Nach seinem Weggang hatte sie sich seltsam isoliert und einsam gefühlt, und sie hatte versucht, dem mit ihrem entschiedenen Streben zu begegnen, sich fortan völlig den Fragen des Rechts zu verschreiben.
Sie hatte das Bedürfnis, sich bei Eadulf wegen ihrer mangelnden Beherrschung zu entschuldigen, hatte aber gleichzeitig das Gefühl, im Recht zu sein. Sie brauchte die Freiheit, ihren eigenen Weg im Leben zu gehen. Es ging ihr nicht darum, zu dominieren, sie wünschte sich eine unterstützende Partnerschaft. Würde Eadulf eine Entschuldigung alsNachgeben auffassen? Ihr Widerstreit der Gefühle machte sie vollends wirr.
Schritte vor der Tür rissen sie aus ihren Betrachtungen.
Sie wusste sofort, wer es war. Ein freudiges Lächeln umspielte ihre Lippen. Verbergen konnte sie es nicht mehr, denn schon klopfte es, und sie rief: »Komm herein, Eadulf!«
Unschlüssig blieb er auf der Schwelle stehen.
Entgegen aller Bedenken stand Fidelma auf und ging ihm mit ausgestreckten Händen entgegen.
»Du hast mir gefehlt«, sagte sie einfach.
»Du mir auch«, entgegnete er etwas linkisch, und sie fielen sich in die Arme. Sie löste sich, trat einen Schritt zurück und suchte seinen Blick.
»Zuallererst musst du wissen, dass ich Abt Ségdae um seinen Segen für meinen Austritt aus der Schwesternschaft gebeten habe.«
Sein Gesicht blieb reglos, und er schwieg einen Moment.
»Mir war klar, dass du das tun würdest, nachdem du dich einmal dazu entschlossen hattest. Ich vermute, du bist dir sicher, dass du es so und nicht anders möchtest.«
Sie ging zu ihrem Stuhl an der Feuerstelle zurück.
»Mach die Tür zu, Eadulf. Komm und setz dich.« Sie wartete, bis er Platz genommen hatte. »Ich bin mir sicher, ja«, sagte sie kurz und bündig. »Ich muss es einfach tun.«
»Das Ansehen einer Nonne darf man nicht so leichthin aufgeben«, stellte Eadulf bedrückt fest.
»Du weißt, dass es mich nie danach verlangt hat, eine Neubekehrte des Glaubens zu sein, zu predigen oder zu lehren und meine Tage in Abgeschiedenheit und Andacht zu verbringen. Ich bin Anwältin. Eadulf. Darin sehe ich meine
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