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Der Blutkelch

Der Blutkelch

Titel: Der Blutkelch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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war. Am Schneefall, der alle Geräusche auslöschte, konnte es nicht liegen, zu schneien hatte es inzwischen aufgehört. Nirgendwo war eine Fährte zu erkennen, weder vom Wolf noch vom Fuchs. Auch das Rauschen der strömenden Gewässer war verstummt. Er grübelte eine Weile und schob schließlich das Fehlen natürlicher Geräusche auf die eisige Witterung. Dennoch liefen ihm kalte Schauer über den Rücken.
    »Sind wir bald in der Nekropole?«, fragte er zaghaft.
    Huneric drehte sich um, und seine Miene ließ erkennen, wie sehr er mit dem Fremdling mitfühlte. »Nur noch wenige Schritte, mein Freund«, antwortete er aufmunternd.
    Und tatsächlich, nach wenigen Schritten standen sie auf einer größeren Lichtung, die von dem dichten Gürtel der Bäume und Sträucher begrenzt war und über die sich die ausladenden mächtigen Äste wie ein Zeltdach wölbten. Die Lichtung war voller niedriger kleiner Hügel, zerbröselnder Steinmonumente und Stelen, die meisten von ihnen von allerlei Gewächsen überwuchert.
    Huneric trat beiseite und ließ den Mönch in die Runde schauen.
    »Hier ist der Ort, an dem die römischen Legionäre, die das Kastell bewachten, ihre Toten begruben«, verkündete er mit einer Art Besitzerstolz. »Das ist die Nekropole, die sie vor vielen Jahrhunderten angelegt haben.«
    In der kalten Luft sah man deutlich den Atem des erregten Glaubensbruders. »Du weißt doch, wonach ich hier suche?«
    »Nach den Gräbern der Bogenschützen der Ersten Kohorte«, bestätigte ihm sein Führer. »Komm, folge mir.«
    Er ging zu einem Gräberfeld mit aufrecht stehenden Grabsteinen. Vor einem blieb er stehen und kratzte mit bloßen Fingern Moos aus der vertieften Inschrift.
    »Ist das der Stein, den du suchst?«
    Der Mönch hockte sich vor der Steinplatte nieder, blickte angestrengt auf die lateinische Inschrift und flüsterte den Namen, den er entzifferte, vor sich hin. Sein Atem ging heftig, und er nickte.
    »Das ist der Name, den ich suche«, erwiderte er befriedigt.
    Er rutschte noch näher an den Grabstein heran.
    »Er stammte aus Sidon, steht da«, bemerkte Huneric, stolz darauf, dass er die Worte lesen konnte, wie Pater Audovald es ihn gelehrt hatte, und nickte, als der Mönch ergänzte: »Er war ein Mann aus Sidon, das ist im Lande der Phönizier.« Dann las der Fremde laut den restlichen Text der Inschrift:
»… miles ex-signifer cohortis primae sagittariorum hic situs est.
Ehemals Bannerträger der Ersten Kohorte der Bogenschützen, und das ist sein Grab.«
    Einigermaßen erstaunt beobachtete Huneric, wie der Mönch in seine Umhängetasche griff und ein Holztäfelchen hervorholte. Er nahm einen dünnen Stylus aus Knochen und klappte das aus zwei Teilen bestehende Täfelchen auf. Im Inneren war ein Wachsfeld, das er erst mit der Wärme seinerHände geschmeidig machen musste. Dann übertrug er sorgsam die fünf lateinischen Zeilen der Inschrift auf sein Schreibtäfelchen, klappte es zu und steckte es mit dem Stylus zurück in die Tasche. Schweigend stand er noch eine Weile vor dem Gedenkstein.
    »Ich danke dir«, sagte er bedrückt. »Von mir aus können wir nach Bingium zurückkehren.«
    Huneric konnte seine Verwunderung nicht verbergen. »Ist das alles, was du hier sehen wolltest?«
    »Es genügt mir.«
    »War dieser Römer einer deiner Vorfahren? Hast du eine so lange Reise unternommen, nur um eine kurze Inschrift zu lesen?«
    Der Mönch lächelte gequält und schüttelte den Kopf. »Nein, mein Vorfahr war er nicht.«
    »Wer war er dann?«, bedrängte ihn Huneric. »Warum war er so bedeutend, dass du diese Reise aus deinem Land, wo immer es liegen mag, unternommen hast, bloß um auf eine Steinplatte zu schauen, unter der er begraben liegt?«
    »Warum er so bedeutend war?« Der Mönch schaute Huneric tieftraurig an. Der Jäger glaubte schon, er würde in Tränen ausbrechen, so hager und blutleer war sein Gesicht. »Weil der Mann« – mit einer Armbewegung wies er zum Grab hin –, »weil jener Mann vielleicht der Vater einer Lüge gewesen ist, die die Welt verändert hat.«
     
    Der Sommer war noch nicht zu Ende, doch die Luft war dumpf und kühl. Abt Iarnla zog seinen Stuhl näher an die Feuerstelle heran, auf der ein paar Holzscheite qualmten. Wärme verbreiteten sie nicht, nur grauer Rauch stieg auf, und sie zischten, feucht wie sie waren. Unwillig fuhr der Abt den Klosterbruder an, dessen Aufgabe es war, Holz herbeizuschaffen,um die Abtstube zu heizen. »Das Holz ist nass, Bruder Gáeth!«
    »Verzeih,

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