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Der Blutkristall

Titel: Der Blutkristall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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den Duft des pulsierenden Blutes ein und musste wider Willen lächeln, als Morgan es ihr nachtat. Er hatte gar nicht Unrecht. Der Fahrer war ihr anfangs ebenfalls merkwürdig vorgekommen, und sie hatte immer darauf gewartet, dass er eines Tages zur Begrüßung die Hacken zusammenschlagen würde. Der Mann sprach kaum und bewegte sich so zackig, wenn er den Schlag öffnete oder einen Regenschirm für sie aufspannte, dass sie manchmal lächeln musste. Er hatte ihre freundliche Miene noch nie erwidert. Bisher hatte sie dieses Verhalten immer auf seine deutsche Abstammung zurückgeführt, die sich deutlich in seinem Akzent niederschlug. Aber wahrscheinlich war er einfach nur ein komischer Kauz, der zu lange beim Militär gedient hatte. An seiner Arbeit gab es nichts zu beanstanden. Er fuhr sie zuverlässig, war immer pünktlich, und für den dichten Verkehr konnte der arme Mensch nun wirklich nichts. Endlich ging es voran, und eine Weile sprach niemand mehr ein Wort, bis Vivianne befahl: «Halten Sie hier!» Der Wagen glitt sofort lautlos an den Straßenrand. Passanten blieben neugierig stehen, um durch die getönten Scheiben zu blicken.
    «Auffälliger geht es wohl kaum!» Morgan war seine Unruhe deutlich anzusehen.
    Vivianne ahnte, dass er es längst bereute, sie mitgenommen zu haben. Nicht meine Schuld! Schließlich war sie bestohlen worden und die Einbrecherin hatte das Blut auf ihrem Sofa vergossen, nicht auf seinem – falls er überhaupt so etwas besaß. Auf einen weiteren Aufpasser konnte sie wahrlich verzichten. Ihre Brüder führten sich die meiste Zeit wie arrogante Patriarchen auf, und der dämliche Vogel, der jede ihrer Bewegungen vom Dachfirst dort drüben verfolgte, konnte ihr ohnehin gestohlen bleiben.
    «Das Hotel ist da vorn.» Morgan war es gelungen, sich unbemerkt zu nähern. Er stand viel dichter hinter ihr, als es Vivianne recht war.
    «Wo?», fragte sie und trat einen Schritt beiseite. Dann bemerkte sie das flackernde Schild «Hôtel» über der schmalen Tür zwischen einem Imbiss und der heruntergekommenen Bar-Tabac, in der es neben Hochprozentigem auch Zigaretten zu kaufen gab. Durch die geöffnete Tür sah sie einen Mann an der Theke sitzen, der aussah, als hocke er schon sein ganzes Leben lang dort im Halbdunkel. Er hob sein leeres Glas und wie aus dem Nichts erschien ein neues vor ihm. Keine Magie, sondern ein erfahrener Barkeeper war vermutlich für diesen Trick verantwortlich. Zwei junge Männer traten eng umschlungen aus dem Sex-Shop nebenan und blinzelten benommen, bevor sich ihre Augen an das Licht der Leuchtreklame gewöhnt hatten. Ein Haus weiter lehnte eine ältere Frau im roten Lackmini im Eingang und musterte Morgan mit professionellem Interesse. Ein Blick in Viviannes Gesicht genügte jedoch und sie schenkte ihr einladendes Lächeln einem anderen männlichen Passanten, dessen Schritte sich verlangsamten, als überlege er noch, ihr Angebot anzunehmen. Vivianne wandte sich ab, um Morgan in die Absteige der Diebin zu folgen, und fragte sich, was die Pariser am Marais so interessant fanden. Das historische Ambiente? Sie konnte sich gewiss nicht dafür begeistern. Es bedurfte wahrscheinlich nicht einmal ihrer vampirischen Fähigkeiten, um zu erkennen, dass keiner hier das Zeug dazu hatte, in ihr magisch gesichertes Apartment einzudringen. Sie folgten dem Schild «Accueil» und gingen eine steile Treppe empor. Hier oben war es erstaunlich ruhig, die Geräusche der Straße schienen wie ausgesperrt. Auf dem unaufgeräumten Empfangstresen schlummerte eine graue Katze, die nicht einmal erwachte, als Morgan das dicke Register hervorzog und mit dem Finger die Einträge der letzten Tage verfolgte. Schnell legte er es zurück und griff lautlos nach einem Schlüssel, der, mit einem birnenförmigen Holzanhänger ausgestattet, an alte Zeiten erinnerte. Vivianne verspürte keine Neigung, Morgan näherzukommen als notwendig. Deshalb schlich sie hinter ihm her, bis unter das Dach, wo sich das Zimmer mit der Nummer zweiundfünfzig befand. Morgan hielt inne, und sie hätte ihm sagen können, dass sich außer Nabrah oben auf dem First kein größeres Lebewesen in der Nähe befand. Sie drückte die Klinke herunter, nur um seinen eisernen Griff an ihrem Arm zu spüren, der sie einen Augenblick lang erstarren ließ. Er ignorierte ihr empörtes Zischen und signalisierte, dass sie die Treppe im Auge behalten solle. Lächerlich! Vivianne verschränkte die Arme vor der Brust. Als bemerkte sie es nicht sofort,

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