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Der Blutkristall

Titel: Der Blutkristall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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sollte sich ein Sterblicher nähern. Aber vielleicht hatten sich Morgans Kräfte im Lauf seines Daseins nicht besonders entwickelt und er war deshalb auf ihre Unterstützung angewiesen. Dieser Gedanke hellte ihre Stimmung sofort wieder auf.
    Aus der Mansarde drang kein Laut, und schließlich überwältigte sie die Neugier. «Was machst du da?» Vivianne sah durch die Tür und vor ihr lag ein kleines, aber erstaunlich sauberes Hotelzimmer. Zwei ungemachte Betten, Nachttische und gegenüber ein Waschbecken mit Spiegel, das war alles. Vivianne schüttelte sich bei dem Gedanken, ohne einen ausgiebigen Aufenthalt im Bad den Tag, oder vielmehr die Nacht, beginnen zu müssen. Sie öffnete mit spitzen Fingern den handtuchschmalen Einbauschrank: leer. Ihr suchender Blick blieb am grellbunten Muster der Gardine hängen, deren spiralförmige Ornamente jeden Betrachter schwindelig werden ließen. Sie wollte sich bereits abwenden, da blähte ein plötzlicher Windstoß den Stoff und ein am Boden liegendes Papier flatterte ihr entgegen. Bei genauerem Hinsehen stellte es sich als die Ecke eines Briefumschlags heraus. Schnell bückte sie sich und hob den Fetzen auf. Das Fenster wurde von einer weiteren Böe erfasst und schlug so heftig zu, dass das Glas darin zu springen drohte. Was versprach sich Morgan davon, dort draußen herumzusteigen? Sie hörte ihn rumoren und steckte schnell ihren Fund in die Tasche, da sprang der Vampir schon leichtfüßig herein. «Hast du mich erschreckt!» Vivianne ärgerte sich, dass ihm dies überhaupt gelungen war, aber dann entdeckte sie etwas in seiner Hand. «Ist das vom Einbrecher?» Morgan hielt ihr ein weiches Tuch aus kostbarem Samt unter die Nase. Und Vivianne wusste ohne jeden Zweifel, darin liebevoll eingewickelt hatte der Blutkristall in seiner Schatulle geruht. Sie hätte schwören können, dass seine Konturen in dem weichen Material zu sehen waren. Wo befand er sich jetzt, in diesem ungeschützten Zustand? Sie rieb den Samt zwischen ihren Fingerspitzen. Neben einem Echo der besonderen Magie des Steins nahm sie nun auch einen Duft wahr, der ihr bereits gestern in ihrer Wohnung aufgefallen war. «Die Frau hat diesen Stoff jedenfalls niemals berührt.»
    Morgan griff nach einem Kopfkissen. «Richtig. Und hier hat unser Dieb geschlafen.» Das billige Betttuch strömte einen süßlichen Geruch aus, harzig und nicht einmal unangenehm.
    Vivianne sprach aus, was sie fühlte. «Aber zurückkommen wird er nicht, er ist mit seiner Beute weitergezogen.» Sie hoffte nur, nicht schnurstracks zu seinem Auftraggeber. «Hier gibt es nichts mehr zu holen, wir werden den Concierge konsultieren müssen.» Eilig lief sie vor Morgan die Treppe hinunter. Als sie um die letzte Ecke vor der Rezeption bog, blickte sie in einen Gewehrlauf.
    «Haut les mains!» Der alte Mann stand dort, als sei es das Normalste der Welt, seine Hotelgäste mit einem Sturmgewehr zu begrüßen. «Hände hoch!», verlangte er noch einmal und seine Stimme klang beunruhigend selbstbewusst. Vivianne wäre zwar nicht einmal gestorben, wenn er sein gesamtes Magazin in ihren Körper entleert hätte, aber neben der unerwünschten Aufmerksamkeit, die Schüsse zweifellos auch in dieser Umgebung erregten, schmerzte eine solche Verletzung ungeheuer. Eine Heilung konnte, selbst wenn sie mit ausreichend Blut versorgt wäre, durchaus einige Tage dauern. Also tat sie das einzig Vernünftige und hob sehr langsam ihre Arme in die Höhe, während sie versuchte, seine Gedanken zu ergründen. Er hatte in der Fremdenlegion gedient, das war deutlich zu erkennen. Und einen Menschen zu töten war nichts Neues für ihn. Eine aufschlussreiche Erkenntnis: Der Mann wusste also nicht, mit wem er sich gerade anlegte. Dummerweise hörten ihre Einblicke an dieser Stelle auf. Der ehemalige Legionär musste nicht nur durch eine harte Schule gegangen sein, sondern auch ein beachtliches Talent haben, seine Gedanken vor anderen zu verbergen. Vereinzelt gab es Sterbliche, die über diese Fähigkeit verfügten. Er war Einzelkämpfer, hatte Gefangenschaft und Folter im Kongo ertragen, und sein Gehirn war tatsächlich darauf trainiert worden, so wenig wie möglich über sich und seine Kameraden zu offenbaren. Nicht gut. Sie würde ihn töten müssen, wollte sie ihn vergessen machen, dass er eine attraktive Fremde vor der Flinte gehabt hatte, die er liebend gerne hier und jetzt besessen hätte, bevor er sie erschoss. Das Wie und Wo gab er äußerst bereitwillig preis, und seine

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