Der Blutrichter
ihr ungewohnten Luxus, dennoch fühlte sie sich nicht wohl.
»Es steht Euch nicht an, so etwas zu sagen«, zischte er verärgert. »Ihr habt demütig und gehorsam zu sein. Ich dulde kein Weib, das solch freche Worte im Mund führt.«
»Verzeiht«, bat sie und senkte den Kopf. Ihre Hände verschränkten sich.
Er lehnte sich leise seufzend in den Polstern zurück, öffnete eine Klappe am Sitz neben sich und hob einen Krug heraus, um daraus zu trinken. Dann tupfte er sich den Bierschaum von den Lippen.
»Gott meint es gut mit uns Kaufleuten«, verkündete er selbstgefällig. »Er lässt uns auf der Sonnenseite des Lebens wandeln, weil er weiß, dass wir ebenso wie die Adligen zum Edelsten zu zählen sind.«
»Ihr meint, Ihr steht über den anderen Menschen dieser Stadt?«
»O ja! Nur ein Narr könnte diese Tatsache verkennen. Gott macht Unterschiede zwischen den Menschen. Das ist nicht zu übersehen.«
»In der Bibel steht, dass vor Gott alle Menschen gleich sind!«
Christoph von Cronen beugte sich vor und blickte sie strafend an.
|26| »Ihr habt ein freches Mundwerk, Jungfrau Greetje. Was fällt Euch ein, mit mir zu diskutieren? Ich dulde nicht, dass Ihr eine eigene Meinung habt, und ich lasse es schon gar nicht zu, dass Ihr Euch entsprechend äußert. Die Bibel wurde von Menschen geschrieben. Zuvor wurde ihre Botschaft über Jahrhunderte hinweg mündlich überliefert. Da hat der eine oder der andere wohl etwas hinzugedichtet, um sie seinen Vorstellungen anzupassen.«
Greetje gefiel ganz und gar nicht, dass er sie zurechtwies und dass er in dieser abfälligen Weise über das heilige Buch sprach. Sie ließ sich nicht einschüchtern, sondern zeigte kurz auf seinen rechten Fuß.
»Bevor Gott Euch zu den Edelsten einteilte, hat er Euch offenbar eine kleine Mahnung mit auf den Lebensweg gegeben.«
Diese Worte trafen ihn so hart, als hätte sie ihm einen Schlag versetzt. Alle Farbe wich aus seinem Antlitz, das sich vor Wut verzerrte.
»Ihr vergesst Euch, Weib! Es steht Euch nicht zu, Euch über das lustig zu machen, was mir widerfahren ist«, fuhr er sie an. »Und ich verbiete Euch jedes weitere Wort! Ich will nichts mehr hören. Gar nichts. Kein Wort soll über Eure Lippen kommen, bis ich es Euch erlaube!«
Greetje drehte den Kopf zur Seite und blickte ins Nichts. Sie sah die kostbaren Stoffe und die mit Gold beschlagenen Leisten nicht mehr. Sie war erschrocken und verletzt ob des Verhaltens dieses Mannes. Ihren Einzug in Hamburg hatte sie sich anders vorgestellt. Ganz anders. Wilham von Cronen, Christophs Vater, mochte reich und mächtig sein, er war sicherlich ein ungewöhnlicher Mann, doch er hatte einen Sohn, dem es an vielem fehlte. Einen Mann wie Christoph wollte sie auf keinen Fall ehelichen. Sie beschloss, sich energischer als bisher gegen ihr Schicksal zu wehren. Was halfen ihr Reichtum und Luxus, wenn |27| sie einen Mann an ihrer Seite hatte, der sich schon jetzt so verhielt, als hätte er alle Macht über sie, obwohl sie noch nicht miteinander verheiratet waren?
Sie schwiegen, bis die Träger endlich die Sänfte absetzten. Christoph von Cronen zog einen Vorhang zur Seite und blickte hinaus. Dann nickte er zufrieden.
»Wir werden die Form wahren«, sagte er. »Wenn andere dabei sind, werde ich Euch höflich behandeln. Aber glaubt nur nicht, dass sich etwas geändert hat. Und noch etwas. Euer Vater wird in einigen Tagen nach Hamburg übersiedeln. Bis dahin wohnt Ihr in unserem Haus. Ihr verlasst Eure Kammer nur, wenn ich es Euch erlaube. Und jetzt zeigt Euch demütig, wie es die Form verlangt.«
Einer der Diener öffnete die Tür, Christoph von Cronen stieg lächelnd aus, drehte sich um, verneigte sich höflich und streckte ihr fordernd die Hand entgegen. Sie ergriff sie, und er half ihr, aus der Sänfte zu steigen.
Hinriks Blick glitt von der Kogge mit ihrem aufragenden Achterkastell und dem Heckruder über das überschwemmte Land hinweg bis hin zum Hof des Grafen, der sich nahe dem Dorf Heiligenstätten auf einer künstlichen Anhöhe, einer Warft, erhob und selbst von einer Springflut nicht erreicht wurde. Zwischen der Flussschleife und dem Hof des Grafen erstreckte sich das Land, das ihm, Hinrik, gehörte und das man ihm gestohlen hatte.
In den vergangenen Wochen hatte es einige Male Streit gegeben, weil nachts Schiffe angelandet waren und entladen wurden. Die Fracht war jedoch nicht über die nach Norden um das Kloster führende Straße und dann zum Gut des Grafen gebracht, sondern direkt
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