Der Blutrichter
einem Moment mit dem Bronzenen konfrontierte, da er absolut nichts gegen ihn ausrichten konnte. Wie oft hatte er diesen Gegner in seinen Träumen zum Kampf gestellt! Niemals war ihm dabei der Gedanke gekommen, er könnte zu schwach sein, um sich gegen ihn zu behaupten. Voller Wehmut – und erfüllt von ohnmächtigem Zorn – dachte Hinrik an seinen edlen Tuz. Auf seinem Rücken hätte er kämpfen und dabei die Vorteile eines Pferdes nutzen können, das dem schweren Ross des Bronzenen an Schnelligkeit und Wendigkeit weit überlegen war.
Er hatte dem Hengst den Namen Tuz gegeben, weil er widerborstig wie eine Kröte sein konnte. Hervorgegangen war das Pferd aus einer Begegnung seiner schwerblütigen Stute mit einem temperamentvollen spanischen Hengst, der bei aller Größe so leicht gewesen war, dass er von niemandem ernst genommen worden war.
Tuz war etwas ganz Besonderes. Er war nicht mehr |31| schwerfällig und behäbig, wie die Pferde aus Holstein sonst, sondern leicht und beweglich. Er war nicht dafür vorgesehen, schwere Arbeit auf den Äckern zu leisten und Ritter in Rüstungen zu tragen, in denen diese sich ohne Pferd kaum hätten fortbewegen können. Tuz war schneller als jedes andere Pferd weit und breit. Schon deshalb war das Tier dem Grafen ein Dorn im Auge. Wollte man ihm glauben, war ein so leichtfüßiges Pferd wie Tuz weder als Zugtier noch auf dem Schlachtfeld zu gebrauchen.
Die Kälte kroch Hinrik in die Glieder, und seine Muskeln verhärteten sich am ganzen Körper. Als er sich mit der Hand über das Gesicht fuhr, spürte er die Schwellungen und vor allem die klaffende Wunde, die der Hieb mit dem Ochsenziemer gerissen hatte. Eine Narbe würde zurückbleiben, die ihn für den Rest seines Lebens daran erinnern würde, was ihm widerfahren war.
Als er sich von dem Baumstamm löste, fielen ihm die ersten Schritte besonders schwer. Er hatte kaum Gewalt über seine Beine und taumelte so heftig, dass er sich an einem anderen Baum abstützen musste. Erst nach und nach erwärmten sich die Muskeln und wurden ein wenig geschmeidiger. Auch das Gift schien zu schwinden, so dass er sich besser bewegen konnte und sein Geist sich klärte.
Alles in ihm schrie nach Rache. Im tiefsten Inneren allerdings war eine leise Stimme zu hören, die davon nichts wissen wollte. Die Männer, mit denen er es zu tun bekommen hatte, waren zu mächtig. Und sie hatten ihm alle Waffen aus der Hand geschlagen.
Nein. Nicht alle.
Was er als Knappe und als Ritter gelernt hatte, konnten sie ihm nicht nehmen. Niemals.
Als er sich nach Norden wandte, um zum Geestrücken hinaufzusteigen, vernahm er erneut Hufschlag. Zögernd blieb er im Schatten der Eichen stehen und wartete. Es |32| dauerte nicht lange, bis er die Reiter sah. An der Spitze ritten zwei bärtige Männer, die ihm bereits auf dem Hof des Grafen aufgefallen waren, obwohl sie nicht in den Kampf eingegriffen hatten. Sie hielten Fackeln in den Händen. In ihrem Licht erkannte er Wilham von Cronen, der ihnen folgte. Fünf weitere Reiter bildeten den Abschluss des Trosses.
Der Hass gegen den Ratsherrn hielt Hinrik nicht mehr auf der Stelle. Im Schutz des Waldes begleitete er den Zug, doch in der Dunkelheit konnte er kaum etwas erkennen. Immer wieder prallte er gegen Bäume oder verfing sich in den Büschen. Er fürchtete, das Knacken und Krachen der Zweige würde ihn verraten, doch die Reiter hörten ihn nicht. Alle ritten schwere Pferde, die selbst unter der Last von zehn Reitern nicht zusammengebrochen wären, wahre Kolosse, wie sie überall zum Einsatz kamen. Langsam stampfend bewegten sie sich voran, immer wieder laut schnaubend. Die Geschirre knarrten und ächzten. Tuz wäre ihnen mühelos davongelaufen. Im Galopp hätte er sich sehr schnell einen großen Vorsprung verschafft. Diese Pferde dagegen waren schon im Trab schwerfällig. Selbst Hinrik konnte mühelos Schritt halten.
Von Cronen folgte dem Waldrand, um dann kurz vor Itzehoe zur Störschleife hin abzubiegen. Nun war das Gelände offen und flach. Hinrik ließ sich zurückfallen, um dem Ratsherrn in weitem Abstand zu folgen. Erst als der Tross die Störschleife erreichte, wo eine Kogge lag, rückte er weiter auf. An Bord brannten Fackeln, und ein großes Lagerfeuer am Ufer verbreitete Licht. So konnte Hinrik sehen, wie von Cronen von einem hochgewachsenen, offenbar recht kräftigen Mann an Bord begrüßt wurde. Anscheinend kannten sie einander. Beide waren wegen der Kälte in dicke Pelzmäntel gehüllt.
Während
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