Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
Vom Netzwerk:
– mehr eine symbolische Geste als ein Schadenersatz –, und damit war die Sache aus der Welt. Danach hatte er Bier aus einem Krug getrunken. An mehr konnte er sich nicht erinnern, aber er wusste genau, dass er mit dem Grafen allein gewesen war. Die anderen mussten später hinzugekommen sein.
    Auf dem Tisch lag ein Schriftstück. Der Graf nahm es mit spitzen Fingern auf, bevor es gänzlich vom Bier durchnässt war, und hielt es hoch, so dass Hinrik es sehen konnte. Die Brauen mit ihren langen weißen Haaren verdeckten |8| einen Teil der Augen wie schlaff herabhängende, vom Alter zerzauste Gardinen.
    Hinrik fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. »Was ist das?«
    Wilham von Cronen, der Ratsherr, erhob sich und trat um den Tisch. Er nahm dem Grafen das Blatt ab und hielt es Hinrik vors Gesicht. Feiner Schweiß stand auf der wuchtigen Stirn. Er kaute einige Sekunden lang auf den Barthaaren, die ihm in den Mund hingen, bevor er kalt, beinahe verächtlich sagte: »Das könnt Ihr unmöglich vergessen haben. So betrunken wart Ihr nicht. Ihr habt unterzeichnet und das Datum hinzugeschrieben. 2. April 1396.«
    In der Tat. Unter dem Schriftstück stand in fein geschnörkelten und sauber gezirkelten Buchstaben sein Name.
    Hinrik vom Diek, Ritter zu Heiligenstätten
.
    Es war genau die ein wenig umständliche Art, in der er zu unterzeichnen pflegte. Er war stolz darauf, lesen und schreiben zu können. Während seiner Jahre im Kloster in der nahegelegenen Stadt Itzehoe hatten ihm die Mönche Unterricht erteilt. Doch das war nicht seine Schrift. Sie sah ihr ähnlich, aber sie war es nicht. Es gab zu viele Abweichungen.
    »Ihr wolltet unbedingt mit uns Karten spielen. Und dabei habt Ihr alles eingesetzt, was Ihr besitzt. Euren Hof, Euer Vieh, Eure Ländereien – einfach alles.«
    »Und Ihr habt alles verloren«, fügte der Geistliche hinzu. Über sein rotes schwammiges Gesicht zog sich ein Lächeln, das er als geradezu diabolisch empfand. Er mochte Bruder Albrecht nicht. Hatte ihn nie gemocht, weil er scheinheilig und devot die Botschaft der Liebe aus den Klostermauern heraustrug zu den Menschen in der Stadt und auf dem Land, sich bei ihnen beliebt machte und |9| ihnen das Bild eines zutiefst demütigen Gottesgläubigen zu vermitteln wusste, während er verborgen hinter den Mauern von hemmungsloser Begierde getrieben Kinderseelen zerstörte. »Ich habe gewonnen. Nein, nicht ich. Die Kirche unseres Allmächtigen. Was Ihr besessen und aufgebaut habt, gehört jetzt ihr. Zum Wohle der Gemeinde und zur Ehre unseres Herrn.«
    »Nein!« Hinrik wuchtete sich mühsam hoch, sank jedoch sogleich wieder auf den Stuhl zurück. Seine Schädeldecke schien sich vom Kopf abzulösen. Die Schmerzen waren so groß, dass sich sein Blick trübte und der Schwindel ihn schier zu Boden warf. »Niemals würde ich mein gesamtes Hab und Gut aufs Spiel setzen. Niemals. Die Unterschrift ist nicht von mir. Sie ist gefälscht worden. Eindeutig.«
    Das Lächeln in dem roten Gesicht erlosch, und die weichen Lippen wurden schmal und hart. »Wollt Ihr mich, einen Mann unserer heiligen Kirche, der Lüge bezichtigen? Ihr, ausgerechnet Ihr, der bei uns gelernt hat, das Wort Gottes zu lesen und zu schreiben? Wer das Wort verachtet, der verdirbt sich selbst. Wer aber das Gebot fürchtet, dem wird’s vergolten werden.«
    Hinrik richtete sich auf. Die vier Männer standen um ihn herum. Ratsherr Wilham von Cronen aus der Stadt Hamburg, kalt, abschätzend, arrogant und unnahbar, der Arzt Hans Barg, klein, unscheinbar und wie so oft mit einem Grinsen im Gesicht, hinter dem sich möglicherweise Unsicherheit verbarg, Graf Gerhard Pflupfennig, in einen Pelz gehüllt, obwohl es wahrlich nicht kalt im Haus war und das Feuer im Kamin genügend Wärme verbreitete. Er litt unter der Gicht und schien ständig zu frieren. Und Albrecht, der Bruder des Grafen, groß, aufgedunsen vom Alkohol und übergewichtig von allzu fettem und reichlichem Essen, gezeichnet von seinen Lüsten und Begierden |10| , die so gar nicht zu den frommen Sprüchen passen wollten, die er ständig auf den Lippen trug.
    »Es geht nicht nur um mich«, entgegnete Hinrik, während er sich flüchtig umsah. Der prunkvoll ausgestattete Raum war ihm vertraut, er war nicht zum ersten Mal hier. Nirgendwo in der Umgebung gab es etwas Vergleichbares, weder in der nahe gelegenen Stadt noch auf den Höfen in der Umgebung und schon gar nicht in den Klöstern. Edle Hölzer überzogen die Wände, an denen Gemälde von

Weitere Kostenlose Bücher