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Der Blutrichter

Der Blutrichter

Titel: Der Blutrichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans G. Stelling
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die beiden Männer miteinander redeten, |33| wärmten sich die anderen am Feuer. Die Seeleute an Bord blieben weitgehend im Dunkeln. Nachdem von Cronen eine Weile mit dem Bärtigen verhandelt hatte, verabschiedete er sich von ihm und ritt mit seinen Männern davon.
    Hinrik presste sich hinter einer Weide auf den Boden. Er hatte zu lange gewartet und geriet nun in Gefahr, entdeckt zu werden. Doch der Tross zog keine zehn Schritte von ihm entfernt vorbei und verschwand in der Dunkelheit. Nun legte die Kogge ab und ließ sich von der Flussströmung mitziehen. Schnell und mit sicherer Hand hissten die Matrosen eine Fahne. Sie war weiß mit einem schwarzen Stierkopf darauf.
    Hinrik machte sich auf den Weg nach Norden. Die Glieder schmerzten ihn bei jedem Schritt, und der eisige Wind ging ihm durch Mark und Bein. Er war nicht nur müde und erschöpft, sondern fühlte sich gedemütigt und verletzt. Aber er dachte keinen Atemzug lang daran, sich irgendwo zu verkriechen und Ruhe zu gönnen. Er trieb sich voran, wohl wissend, wie gefährlich es wäre, der Schwäche in seinen Beinen nachzugeben und sich irgendwo schlafen zu legen. Er wäre nicht wieder aufgewacht.
    Im Wald kannte er sich aus. Er folgte einem schmalen, gewundenen Pfad, der sanft zum Geestrücken hin anstieg. Kurz darauf tauchte sein Hof vor ihm auf. Während er noch überlegte, wie er ihn betreten könnte, ohne gesehen zu werden, schoss aus der Dunkelheit sein Hund auf ihn zu und sprang hechelnd an ihm hoch. Er umarmte ihn, ließ sich auf die Knie sinken und flüsterte: »Leise, Jo, leise! Du darfst mich nicht verraten.«
    Es war, als ob das Tier ihn verstanden hätte. Von nun an gab Jo keinen Laut mehr von sich, drückte sich jedoch immer wieder an Hinriks Beine und blickte fragend zu ihm auf. Er blieb an seiner Seite, als Hinrik sich tief geduckt |34| an der Reihe der Eichen entlangschlich, die den Fahrweg zu seinem Hof säumten. Mittlerweile hatten sich die Wolken gelichtet, und die Nacht war heller geworden. Umso vorsichtiger war der Ritter. Der Graf hatte Wachen auf den Hof geschickt und ihnen den klaren Befehl gegeben, ihn zu töten, falls er sich blicken ließ. Er zweifelte nicht daran, dass sie ihm ohne zu zögern folgen würden.
    Der Hof bestand aus drei großen Gebäuden – dem Haupthaus mit seinen Wohnräumen und den Stallungen für Kühe, Pferde, Schweine sowie das Federvieh, einer geräumigen Scheune und einem Haus für das Gesinde. Eine kleine Brücke führte über den Graben, der das ganze Gehöft einfasste. An seinem Ufer stemmten sich mächtige Eichen in den Boden. Ihre dicht bewachsenen Äste warfen schwere Schatten auf das Anwesen, so dass nicht sofort zu erkennen war, ob sich auf dem Hof jemand aufhielt. Im Obergeschoss des Haupthauses flackerte Licht. Dort war jemand mit einer Kerze zugange.
    Hinrik schlug einen Bogen und näherte sich dem Gehöft von der Seite her, wobei er den Schutz einiger verkrüppelter Weiden suchte. Lautlos strich der Hund neben ihm her. Als Hinrik den Graben erreichte, legte er dem Tier die Hand auf den Rücken und befahl ihm, sich auf den Boden zu legen und zu warten. Jo gehorchte leise winselnd.
    Vorsichtig ließ sich der Ritter in den Graben gleiten. Während das Wasser überall sonst an die sechs Fuß tief war, gab es hier eine seichte Stelle. Er kannte sie schon lange, hatte sich längst vorgenommen, den Graben durchgehend zu vertiefen, hatte die Arbeit aber immer wieder verschoben. Jetzt war er froh darüber, denn nun erreichte er den Hof, ohne über die Brücke zu gehen. Er konnte sich vorstellen, dass irgendwo eine Wache versteckt war und die Brücke nicht aus den Augen ließ. Vorsichtig drückte er |35| das dünne Eis ein. Dennoch kam es ihm vor, als könnte der Lärm den Wachen unmöglich verborgen bleiben.
    Als er aus dem Graben stieg, war er nur noch wenige Schritte von der Rückseite des Haupthauses entfernt. Er eilte an der Mauer entlang bis zu einem Fenster am Ende. Er wusste, dass er die Fensterläden geschlossen, jedoch nicht verriegelt hatte.
    Er verharrte einige Sekunden lang regungslos. An den Außenseiten der Läden befanden sich die reliefartigen Schnitzereien zweier Eulen, die er an den langen Abenden des vergangenen Winters angefertigt hatte. Jetzt erschien es ihm, als wären sie zum Leben erwacht und würden ihn aus großen dunklen Augen neugierig und vorwurfsvoll zugleich anblicken. Er ließ seine Fingerspitzen darüber hinweggleiten, wie um Abschied von ihnen zu nehmen. Dann zog er die

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