Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
Italienreise interessiert. Im
Bellevue hat man sich im Vorfeld überlegt, wie der Präsident Fragen
zu seiner persönlichen Situation parieren kann. Mit einer Engelsgeduld
erklärt er, dass es üblich sei, sich auf Auslandsreisen nicht zu innenpolitischen Themen zu äußern. „Keine Innenpolitik im Ausland", er habe
die Absicht, sich an diese Praxis zu halten. „Das gebietet schon der
Respekt vor unseren italienischen Gastgebern", sagt Wulff und fordert
die versammelten Journalisten lächelnd auf- „Öffnen Sie Ihr Herz für
Italien!" Die Szene hat etwas Bedrückendes. Die meisten Journalisten
blicken beschämt zu Boden, sind peinlich berührt von dem, was sie
erleben müssen. Beides ist beschämend, wie der Bundespräsident
spricht, aber auch wie mit ihm gesprochen wird. Der Verlust an Würde im Zuge dieser Präsidentenkrise, der schon seit Wochen beklagt
wird, ist in diesem Moment mit Händen zu greifen. Die für alle bedrückende Situation macht nur allzu deutlich, wie viel Autorität Wulff
im Laufe der zurückliegenden neun Wochen verloren hat und mit ihm
das höchste Amt im Staat.
Was in diesem Moment außer dem Bundespräsidenten und seiner
Sprecherin niemand weiß: So erschütternd die Szene hoch über den
Wolken ist, so kalkuliert ist sie auch. Der Bundespräsident und sein
Presseteam entscheiden sich bei der Planung der Reise nach Italien
bewusst für eine Strategie: Die Konfrontation mit den beiden Investigativreportern von Bild und Stern ist gewollt. Sie ist der Versuch, bei
allen anderen oder zumindest dem einen oder anderen Verständnis für
die Situation des Präsidenten zu wecken. Dahinter steckt das Kalkül,
dass zumindest ein Teil der mitreisenden Journalisten abgeschreckt
werden könnte durch das Verhalten Einzelner aus der Mediengruppe.
Um die Konfrontation so kurz wie möglich zu halten, findet das Gespräch mit der Journalistengruppe auf dem Hinflug erst unmittelbar vor der Landung in Rom statt. Auch das ist Teil der Dramaturgie des
Bellevue für diese Reise. Wann, wie lange und in welchem Umfeld der
Bundespräsident mit den Journalisten zusammentrifft, ist haarklein
geplant und streng limitiert. Als der Pilot der Regierungsmaschine
dazu auffordert, für die Landung die Plätze einzunehmen, weiß aus
der Journalistengruppe niemand, dass es für das Cockpit eine Regieanweisung gab, damit der Bundespräsident das Gespräch nicht selbst
beenden muss. Nichts ist dem Zufall überlassen. Wulff verlässt die
Besprechungskabine mit einem Scherz auf den Lippen: „Gehen Sie
jetzt lieber schnell auf Ihre Plätze - ich weiß nicht, ob wir genügend
Fallschirme an Bord haben."
Die bewusst zur Schau gestellte Lockerheit soll den Eindruck erwecken, als stehe Wulff über den Dingen. Tatsächlich ist man hin-
und hergerissen: Soll man ihn verachten oder bemitleiden oder am
Ende gar ein wenig bewundern, wie er das seit Wochen aushält?
Diese Wochen sind nicht spurlos an ihm vorübergegangen, das sieht
man. Wulff ist grauer geworden, schmaler im Gesicht, er hat sichtbar
abgenommen. Doch er wirkt erstaunlich gelassen, wer erwartet hätte, einem gebrochenen Mann zu begegnen, der wird eines Besseren
belehrt. Nach der Begegnung mit den Journalisten bleibt das Gefühl,
so wie es jetzt läuft, geht es nicht. Doch Christian Wulff hat sich
entschlossen, die Sache durchzustehen. Wulff ist Politprofi, seit über
dreißig Jahren ist er im politischen Geschäft, er ist hart im Nehmen.
In Niedersachsen brauchte er drei Anläufe, bis er Regierungschef
wurde. Er wurde als Verlierer abgestempelt, war politisch so gut wie
am Ende und schaffte dann doch 2003 den Regierungswechsel in
Hannover. Er weiß, dass Höhen und Tiefen dazugehören. Es ist nicht
die erste Krise, die er entschlossen ist durchzustehen, wenn auch die
mit Abstand heftigste. Es steht alles auf dem Spiel - scheitert er als
Bundespräsident, ist seine politische Karriere am Ende. Das Bundespräsidialamt setzt seit Wochen auf eine Strategie des „business as
usual". Um allen Spekulationen über einen Rücktritt des Bundespräsidenten zu begegnen, werden wie selbstverständlich Termine
gemacht und veröffentlicht, und zwar für Wochen im Voraus. Wulffs Frau Bettina hat Zweifel an dem Kampf, den ihr Mann führt, ist seit
einiger Zeit schon dafür, aufzugeben. Doch auch Christian Wulff
hat wenige Tage vor der Reise nach Italien zum ersten Mal intensiv
daran gedacht.
Anfang Februar schien es so, als sei die
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