Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
Ermittlungsverfahren am Hals?
Der Bundespräsident, seine Frau und die wichtigsten Personen in
der Präsidentendelegation, wie der Chef des Bundespräsidialamtes,
Staatssekretäre aus verschiedenen Bundesministerien und die Sprecherin des Bundespräsidenten, sitzen in einer großzügigen Kabine im
vorderen Teil der Maschine. Im Mittelteil, der Businessklasse, sind die
Wirtschaftsdelegation und Bundestagsabgeordnete untergebracht, die
der Bundespräsident fast immer auf Auslandsreisen mitnimmt. Im
hinteren Teil schließlich ist Platz für die Sicherheitsbeamten, Angestellte des Bundespräsidialamtes und für die Gruppe von Journalisten,
Fotografen und Kameraleuten. Sie sprechen scherzhaft gerne von der
„Holzklasse". Das beschreibt die Realität nur sehr bedingt: Die Platzverhältnisse entsprechen denen der Economyklasse eines Linienfluges,
und der Service an Bord ist für alle gleich. Da es sich um eine Regierungsmaschine handelt, werden die Fluggäste von Soldatinnen und
Soldaten der Luftwaffe betreut. Die Verpflegung lässt kaum Wünsche
offen, es wird ein Drei-Gänge-Menü serviert, auf die Klapptische werden kleine weiße Tischdecken gelegt. Doch kaum jemand kann die
gediegene Atmosphäre der Präsidentenreise genießen, die Spannung
auf das, was kommen mag, ist zu groß. Bereits der Auftakt gibt einen
Vorgeschmack: Noch vor dem Start der Regierungsmaschine machen
sich der Bundespräsident und seine Frau auf den Weg in den hinteren
Teil der Maschine. Sie halten das auf allen ihren Reisen so: Jeder an
Bord wird mit Handschlag begrüßt.
Zunächst heißen sie die Wirtschaftsdelegation und die Bundestagsabgeordneten in der Businessklasse willkommen, dann geht es weiter
bis in die „Holzklasse", wo sie auf die Mediengruppe treffen. Auch hier
schütteln Christian und Bettina Wulff jedem die Hand. Ein Journalist
vom Stern nutzt die Gunst des Augenblicks und fragt den Bundespräsidenten auf den Kopf zu, ob er nur deshalb nicht zurücktrete, weil er „Angst vor Mittellosigkeit" habe. Manch einer in der Kabine traut
seinen Ohren nicht, einige horchen gespannt auf. „Wenn das einer
herausfindet, dann Sie", pariert Wulff und geht weiter. Spätestens in
diesem Moment ist klar, dass auf dieser Präsidentenreise nichts sein
wird wie auf früheren. Das Präsidentenpaar ist zweifellos darauf eingestellt. Christian Wulff hat die Gruppe von Journalisten, die sich an
Bord befindet, selbst mit ausgesucht. Mit je einem Reporter vom Stern
und der Bild-Zeitung sind zwei Journalisten in der Mediengruppe, die
die Affäre um den Bundespräsidenten ins Rollen gebracht haben, indem sie die zentralen Vorwürfe recherchiert haben, und seitdem mit
am Laufen halten. Mit der Entscheidung, die beiden nach Italien mit
zunehmen, begibt Wulff sich in die Höhle des Löwen, oder besser
gesagt: Er lässt die Löwen in seine Höhle.
Während des Fluges ist es üblich, dass der Bundespräsident die
Journalistengruppe zu einem kurzen Gespräch in die Besprechungskabine der Regierungsmaschine bittet. Doch anders als sonst dauert
es dieses Mal sehr lange, bis Wulffs Sprecherin Petra Diroll die Gruppe nach vorne holt. Die Landung der Maschine in Rom steht unmittelbar bevor. Die Gruppe setzt sich in die Besprechungskabine, die
Sitzplätze sind wie ein U angeordnet, ein Platz an der Fensterseite wird
für den Bundespräsidenten frei gelassen. Christian Wulff kommt leger
ohne Sakko in die Kabine, setzt sich auf den freien Platz inmitten der
Journalisten, begrüßt die Gruppe mit etwas angestrengter Freundlichkeit, aber durchaus verbindlich. Sofort beginnt er konzentriert über
den geplanten Staatsbesuch in Italien zu sprechen. Ab und zu dreht er
an seinem Ehering. Wie immer trägt er die Manschettenknöpfe des
Bundespräsidenten, in Weiß mit goldenem Adler. Ausführlich schildert Wulff das Programm der Reise und erklärt, mit welcher politischen Botschaft er nach Rom kommt. Es geht ihm darum, die Reformanstrengungen der italienischen Regierung inmitten der Eurokrise
durch ein Signal der Solidarität aus Deutschland zu unterstützen. Die Reform-Regierung unter Mario Monti habe es schwer in diesen Wochen, der Besuch sei deshalb wichtig, erklärt Wulff.
„Glauben Sie im Ernst, dass sich jemand dafür interessiert, was Sie
in Italien vorhaben?", platzt es aus dem Stern-Reporter heraus, der zu
Wulffs Rechten sitzt. Wulff ist zweifellos vorbereitet auf diesen Moment, er weiß, dass sich niemand für seine
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