Der Bourne Verrat: Roman (German Edition)
Ihr professioneller Blick sagte ihr, dass von diesen Leuten keine Gefahr drohte, und so vergaß sie sie augenblicklich.
Nachdem sich ihre Zielperson ins Meer geflüchtet hatte, war Rebekka fast eine Stunde durch das Wasser gewatet, um nach dem Mann zu suchen. Ihre Zehen waren völlig durchgefroren, doch gefunden hatte sie ihn nicht. Sie war sich ziemlich sicher, dass ihre Kugel ihn nur am Kopf gestreift hatte. Die bange Frage war jedoch, ob er das eiskalte Wasser überlebt hatte. Sie musste unbedingt an sein Wissen herankommen und verfluchte sich selbst dafür, dass sie überhaupt auf ihn geschossen hatte. Sie hätte einfach hinterherspringen sollen. Es wäre ihr bestimmt nicht schwergefallen, ihn im Wasser zu überwältigen. Doch jetzt war er verschwunden, und mit ihm die Informationen, die sie so dringend gebraucht hätte.
Geistesabwesend rührte sie noch etwas Zucker in ihren Kaffee und nahm einen Schluck. Ihre eigenen Leute waren jetzt hinter ihr her. Niemand wusste besser als sie, wie hartnäckig und rücksichtslos der Mossad sein konnte, wenn die Verantwortlichen überzeugt waren, dass einer der Ihren sie verraten hatte. Wie gern hätte sie sich an Oberst Ari Ben David gewandt und ihm alles erklärt, doch er würde ihr ihre abenteuerliche Geschichte niemals glauben. Vielleicht gab es einen Menschen, dem sie ihr Problem anvertrauen konnte, doch ihre Ausbildung hinderte sie daran, jemanden außerhalb des Mossad einzuweihen.
Sie hörte die Stimme der Kellnerin, drehte sich um und zuckte zusammen. Die Stichverletzung, die sie in Damaskus erlitten hatte, war noch nicht ganz verheilt, wie ihr jede jähe Bewegung des Oberkörpers in Erinnerung rief.
»Möchten Sie noch einen Kaffee?«
Die Kellnerin lächelte ihr zu. Sie sah aus wie eine Walküre. Rebekka stellte sich die Frau beim Ritt über das Schlachtfeld vor, oder – etwas realistischer – bei der morgendlichen Ausfahrt mit dem Fischerboot. Sie nickte und erwiderte ihr Lächeln.
Als sie sich wieder der Bucht zuwandte, sah sie, dass ein Sturm aufzog. Gut so. Das Wetter passte zu ihrer Stimmung. Sie trank ihren Kaffee, gab noch etwas Zucker hinein und dachte darüber nach, wie ihr Leben seit der Begegnung mit Jason Bourne auf einem ihrer Flüge nach Damaskus verlaufen war. Es war zwar erst sechs Wochen her, doch ihre Tarnung als Flugbegleiterin schien hundert Jahre zurückzuliegen. Wie sich ihr Leben seither geändert hatte! Sie und Bourne waren hinter demselben Terroristen her gewesen: Semid Abdul-Qahaar. Beim Showdown waren sie beide verwundet worden. Mit einer Kugel in der Schulter war Bourne mit einem gestohlenen Hubschrauber über die Grenze in den Libanon geflogen und – ihren geflüsterten Anweisungen folgend – im Mossad-Lager in Dahr El Ahmar gelandet.
Sie hatte keine Ahnung, wo er sich zurzeit aufhielt und ob er überhaupt noch mit ihr sprechen würde. Schließlich hatte sie ihn in das Lager geführt, das Ben David leitete. Sie musste davon ausgehen, dass er ihr die Schuld an dem gab, was danach passiert war.
Nein, selbst wenn sie Bourne finden würde, könnte sie ihm nicht von ihrem Verdacht erzählen, der ihr in Dahr El Ahmar gekommen war. Für ihn gehörte sie zum Feind. Bestimmt dachte er, dass sie ihn verraten hatte. Wie sollte er es anders sehen, nach allem, was geschehen war?
Dabei hatte sie sich selbst verdächtig gemacht, indem sie Bourne ins Lager brachte. Oberst Ben David war kein nachsichtiger Mensch, und im Grunde konnte er sich das auch nicht leisten. Dennoch traf es sie tief, dass er sie als Verräterin ansah. Sie wusste, wie es in diesem Geschäft zuging, dennoch war sie nicht darauf vorbereitet, wie hart und verbissen er sich mit einem Mal gegen sie wandte. Er hatte sich fast wie ein verschmähter Liebhaber benommen. Erst später, nachdem sie beschlossen hatte, den Informationen nachzugehen, die sie im Lager zufällig mitgehört hatte, wurde ihr klar, welche Gefühle Ben David für sie hegte und dass sie für ihn immer schon mehr als nur eine Agentin gewesen war. Doch das alles ließ sich jetzt ohnehin nicht mehr ändern, selbst wenn sie es gewollt hätte.
Draußen wehte der aufkommende Sturm den Schnee mit erstaunlicher Wucht gegen das Fenster. Das Glas zitterte und ächzte im Wind. In diesem Augenblick sah sie den dünnen Mann, der allein an seinem Tisch saß, und wusste, dass alles verloren war.
»Es geht um einen ganz bestimmten Mann.« Christien wandte sich Bourne zu. »Sein Name ist Nicodemo, auch bekannt als der
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