Der Briefwechsel Thomas Bernhard/Siegfried Unseld
noch nicht die letzte Präzision, die er sich wünscht. Er sagte zwar noch ›vielleicht in drei Wochen‹, und dazu gibt es eine gewisse Chance, da er ja unbedingt die Monate September und Oktober für die Niederschrift seines nächsten Stückes verwenden möchte. Es wird darauf ankommen, ob ihm die letzte Perfektion jetzt gelingt oder ob er die Arbeit wieder noch länger liegenlassen wird. An seiner Haltung ist kaum etwas zu ändern, er ist stark und starrsinnig, macht das, was er will – nur Geld, nur von Geld läßt er sich bewegen, aber davon braucht diesmal ja nicht die Rede zu sein.
Er hat Ohlsdorf weiter ausgebaut und sich dann zusätzlich in der Nähe von Gmunden auf einem abwegigen Areal ein neues Grundstück mit Haus gekauft; dieses Haus kann man nur zu Fuß oder mit einem Traktor erreichen.
Er war natürlich erleichtert über die Wirkung und den Erfolg der Aufführung. Mißtrauisch, wie er gegenüber allen und allem ist, gab er sich befriedigt über die Leistung und war auch durchaus angetan von unserem Tournee-Vorhaben. Er will keine andere Inszenierung zulassen! Und das verstehe ich völlig, wenn die Schauspieler auch nur eine Klasse weniger gut spielen, ist das Stück nicht über die Bühne zu bringen.
Jedenfalls war für uns diese Uraufführung die wichtigste seit langem. Sie ist Signal und Beginn für das Unternehmen unserer Produktionsgesellschaft. Sie wird nicht immer mit solchen Ungewöhnlichkeiten rechnen können, aber vielleicht kann das für den normalen Theatergänger Normale ungewöhnlich dargeboten werden.«
In einer Ergänzung zu diesem Reisebericht hält S. U. in einer Chronik -Notiz fest:
»Was ich nicht in den Reisebericht schrieb: natürlich ist er der alte, der mißtrauische. Wir trafen uns zusammen mit Rach in meinem Hotel ›Seehof‹ am Mondsee. Wir gingen zum Abendessen, alles war gut, harmonisch, doch wir vermieden die neuralgischen Punkte. Dazwischen dann die Aufführung, die ja nicht ohne Erfolg war. Am nächsten Tag besuchte ich ihn in Gmunden, wir besprachen zwei Stunden die Situation, dann fuhren wir zu Maletas zum Mittagessen, anschließend nahm er uns auf seinen neuen Grundbesitz, den sogenannten ›Grasberg‹ bei Gmunden, mit, ein Grundstück, das 50 000 qm umfaßt, links und rechts von einem Bach begrenzt ist, der eine trägt den Namen ›Frauengraben‹, der andere hat keinen Namen, es ist eine große Geländewölbung, auf deren Kuppe ein Haus steht, das sehr beachtlich ist in seinen Ausmaßen, das Bernhard nun umbauen läßt, ein Haus, das man wirklich nur auf dem Fußweg oder mit jenem Traktor erreichen kann, den Bernhard sich zugelegt hat und der in Ohlsdorf steht. Ich hatte sehr eingehende Gespräche mit ihm im Hinblick auf die ›Korrektur‹. Der Text sei fertig. Aber er sei nicht vollkommen, ihm fehle die letzte Perfektion. Sicher, es seien Kleinigkeiten, aber auf Kleinigkeiten käme es eben an. Er würde mir das Manuskript schicken in drei Wochen, drei Monaten oder drei Jahren. Bernhard ist unheimlich intransigent, er macht das, was er will, und läßt sich nicht beeinflußen, nur durch Geld. Darauf werden wir uns einzustellen haben. In seinem Stück ›Die Macht der Gewohnheit‹ heißt es ja: ›Selbst das Genie / wird noch einmal wahnsinnig / wenn es ums Geld geht.‹ [Siehe Th. B.: Werke 16 , S. 47.] Bernhard muß man wirklich auf einer doppelten Ebene behandeln, einmal indem man ihm seinen großen Drang zur Perfektion nachsieht, d. h., das versteht. Andererseits können wir Termine und Versprechungen von ihm nur erhalten, wenn wir Geld-Zuflüsse damit koordinieren. Er ist hart, er ist auch in seiner Weise autark, er ist unabhängig. Er hat sich dieses neue Besitztum, das ungeheuer kompliziert ist und das ich persönlich nie besitzen wollte, zugelegt, weil es für ihn eine Herausforderung und eine Arbeit ist. Und er braucht eine Arbeit, die produktiv und positiv ist. ›Man kann ja nicht immer schreiben, dann würde man ja wahnsinnig.‹ Der Einzelgänger Bernhard hat sich mit diesem neuen Besitztum eine wirkliche Aufgabe geschaffen, die ihn fordert, die auch auf ihn zugeschnitten ist. Das Grundstück ist vollkommen ungewöhnlich, weil abseitig, abwegig. Als wir weggingen, spazierten drei einsame Wanderer von oben in das Grundstück ein. Bernhard befiel eine solche Wut; hätte er ein Gewehr gehabt, so hätte er sie abgeschossen. Eine merkwürdige Welt. Wir mußten uns der Schnaken erwehren, die uns heftig stachen. Aber Schnaken sind bekanntlich
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