Der Buick: Roman (German Edition)
nähernder Schritte. Ich hatte hinabgeschaut wie in einen Brunnen, aber gleichzeitig auch nach oben, auf eine Anhöhe … als hätte irgendein Prisma mein Gesichtsfeld geteilt. Es war wie der Blick durch ein Periskop, das gewissermaßen mit grellem Licht ausgekleidet war. Ich sah sehr deutlich – es wird mir immer unvergesslich bleiben –, und was ich sah, war auf fantastische Weise fremd. Gelbes Gras, bräunlich an den Spitzen, bedeckte einen felsigen Hang, der sich vor mir erhob und dann an einem Felsvorsprung endete. Grüne Käfer krabbelten im Gras, und seitlich wuchsen diese wachsweißen Lilien. Hinter den Felsvorsprung konnte ich nicht sehen, aber ich sah den Himmel. Er war dräuend lilafarben, voller Wolken und von Blitzen durchzuckt. Ein prähistorischer Himmel. Darunter kreiste etwas in losen Scharen. Vielleicht waren es Vögel. Oder Fledermäuse wie die, die Curtis versucht hatte zu sezieren. Sie waren zu weit entfernt, um das zu erkennen. Und es geschah ja auch alles sehr schnell. Ich glaube, hinter dem Felsvorsprung war ein Ozean; aber ich weiß nicht, wie ich darauf komme; vielleicht nur wegen des Fischs, der damals aus dem Kofferraum des Buicks geplumpst war. Oder wegen des salzigen Geruchs. In der Umgebung des Roadmaster hatte es immer leicht nach Salz gerochen.
Am unteren Rand meines Fensters (wenn man es denn so nennen wollte) lag ein silbriges Ornament an einer dünnen Kette im Gras: Brian Lippys Hakenkreuz. Das Silber war an der Luft angelaufen. Ein Stückchen weiter lag ein Cowboystiefel mit Stickereien und hohem Absatz. Das Leder war größtenteils von einem schwarzgrauen Moos überwuchert, das wie Spinnweben aussah. Der Stiefel war an der Seite aufgerissen, und aus diesem schartigen Riss schimmerte ein gelber Knochen hervor. Kein Fleisch; nach vierzehn Jahren in dieser ätzenden Luft konnte ja auch nichts mehr davon übrig sein. Doch ich bezwei fl e, dass allein die Verwesung dafür verantwortlich war. Ich glaube, Eddie Js alter Schulfreund wurde gefressen. Wahrscheinlich bei lebendigem Leibe. Während er schrie, wenn er dafür denn genug Luft bekam.
Und am oberen Rand meines Fensters lagen noch zwei Gegenstände. Der erste war ein Hut, ebenfalls besprenkelt von diesem schwarzgrauen Moos; es wuchs längs des Hutbands und auch oben in der Falte. Es war nicht genauso einer, wie wir ihn heute tragen – die Uniform hat sich seit den Siebzigerjahren ein wenig gewandelt –, aber es war doch eindeutig ein Stetson der Pennsylvania State Police. Er war nicht weggeweht, weil ihn jemand oder etwas mit einem groben Holzpflock am Boden befestigt hatte. Als hätte Ennis Raffertys Mörder auch nach dem Tod des Eindringlings aus einer anderen Welt noch Angst vor ihm gehabt und hätte sein hervorstechendstes Kleidungsstück angepflockt, damit er nicht auferstand und nachts wie ein durstiger Vampir umherschlich.
Neben dem Hut lag – rostig und vom struppigen Gras fast verborgen – seine Dienstwaffe. Nicht die automatische Beretta, die wir heute haben, sondern die Ruger, die auch George Morgan benutzt hatte. Hatte auch Ennis damit Selbstmord begangen? Oder hatte er etwas kommen sehen und noch im Sterben darauf geschossen? Hatte er die Waffe überhaupt abgefeuert?
Das war unmöglich festzustellen, und ehe ich noch genauer hinsehen konnte, rief Arky Steff um Hilfe und wurde ich mit Ned, der wie eine große Puppe in meinen Armen hing, nach hinten gerissen. Ich sah nichts mehr, aber wenigstens eine Frage war nun beantwortet. Beide, Ennis Rafferty und Brian Lippy, waren dort gelandet.
Wo auch immer dort war.
Ich stand von der Bank auf und ging ein letztes Mal zum Schuppen. Und dort stand er, nachtblau und nicht ganz koscher, und warf einen Schatten, als ob gar nichts sei. Öl ist okay!, hatte der Mann im schwarzen Mantel Bradley Roach zugerufen, und dann war er verschwunden und hatte nur diese unheimliche Visitenkarte aus Stahl zurückgelassen.
Während des letzten lustlosen Trockengewitters hatte sich der Kofferraum irgendwann von selbst geschlossen. Gut ein Dutzend tote Käfer lagen über den Boden verstreut. Die würden wir morgen wegräumen. Es hatte keinen Sinn, sie aufzuheben, zu fotografieren oder sonst irgendwas mit ihnen anzustellen; die Mühe machten wir uns nicht mehr. Ein paar Jungs würden sie in dem Ofen hinten auf dem Hof verbrennen. Diese Aufgabe würde ich delegieren. Das Delegieren von Aufgaben gehört auch dazu, wenn man auf dem Chefsessel sitzt, und das ist gar nicht schlecht. Die einen
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