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Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Titel: Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Tenner
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Prolog
    Gewöhnliche Menschen sind der Meinung, dass sie sterben müssen. Die Wissenschaft bestätigt ihre Auffassung und Tausende Friedhöfe und Gräber sprechen eine deutliche Sprache. Für mich längst nicht mehr deutlich und überzeugend genug. Mein Glaube an gewöhnliche Meinungen und an die Unfehlbarkeit von Wissenschaft und alltäglicher Erfahrung ist erschüttert, aber ich werde mich hüten, jemand anderem als diesen weißen Blättern meine Geschichte anzuvertrauen. Meine Frau kennt die Geschehnisse – aus meiner Sicht, aber sie wird sich kaum dazu entschließen, mich einem Arzt auszuliefern. Die Liebe hängt nicht vom Verstand ab, meint sie. Ein einziger Freund könnte meine Geschichte oder zumindest Teile davon bezeugen, aber er war selbst nach einem Nervenzusammenbruch für mehrere Monate in einer Nervenheilanstalt und würde wahrscheinlich mit seiner Aussage zu meinen Gunsten noch mehr Zweifel aufkommen lassen. Ich muss mich korrigieren. Dank meiner Sanduhr und meiner Warnungen konnte ich ihm die Anstalt ersparen und die Behandlungen auf Therapie und Nervenheilkur beschränkt werden, dennoch würde er wohl nicht der glaubwürdigste Zeuge sein.
    Und so voll die Irrenanstalten auch sein mögen, für mich würde man sicher noch ein Plätzchen finden. Obwohl dies auch Vorteile hätte, denn es gäbe zumindest bei meinen Mitpatienten gegenüber meinen Erzählungen weniger Vorbehalte als bei den vor den Anstaltsmauern Lebenden. Und auf ein besserwisserisches oder mitleidiges Lächeln würden meine Anstaltsgenossen vielleicht auch verzichten. Mir fällt ein Ausspruch Friedrich Nietzsches ein. Mit einer gewissen Wehmut stellte Nietzsche fest, dass in früheren Zeiten die Wahrheit anders empfunden wurde als heute und dass der Wahnsinnige sogar als das Mundstück der Wahrheit gelten konnte. Doch die Zeiten haben sich geändert und die völlige Einschränkung meiner Bewegungsfreiheit wäre ein zu hoher Preis für einige mehr oder minder interessierte Zuhörer oder Diskussionspartner. Zumal ich ihren Erzählungen wohl mit mehr Skepsis begegnen würde als sie meinen Berichten.
    Es ist immer das gleiche Problem: Nur die anderen sind verrückt. Dabei geht es gar nicht um einen Geisteszustand, sondern um selbst Erlebtes. Aber dies würde man wohl bezweifeln und sofort meinen mentalen Zustand ins Gespräch bringen. Ich kann also nur meine Erlebnisse der letzten Jahrzehnte zu Papier bringen und darauf hoffen, dass es später einige Freunde oder interessierte Leser geben wird, die ihre Lehren oder Schlussfolgerungen aus meinem Schicksal ziehen und manches auf dieser Welt mit anderen Augen sehen werden. Eine scheinbar banale Lehre lautet: Nicht alles im Leben lässt sich rational erklären und nicht alles, was irrational ist, muss auch sinnlos sein.
    Verzichte auf Erklärungen, wenn es um die wirklich wichtigen Dinge im Leben geht. Und mit diesen wichtigen, meine ich die sogenannten letzten Dinge. Von einem Weltbild konnte ich schon lange nicht mehr sprechen, bestenfalls von einem Sammelsurium von Vermutungen, märchenhaften Erklärungen und immer neuen Fragen. Alles andere als eine solide Grundlage für ein Weltbild, das einen sicher durchs Leben geleiten könnte. Dafür hatte ich aber etwas gewonnen, dass fast alle Menschen so gerne besitzen möchten und für das die meisten Milliardäre dieser Welt mir gerne ihre Aktienpakete, Immobilien, Luxuslimousinen und Mätressen überlassen hätten: die Unsterblichkeit. Ja, ich weiß, jeder, der dies liest, denkt nun – der ist tatsächlich verrückt. Aber auch der Verdächtigste sollte die Chance bekommen, sich zu erklären oder zu verteidigen. Und bevor ich mit meiner Geschichte beginne, sei eines noch vorausgeschickt: Diese Unsterblichkeit, die ich zweimal freiwillig aufgegeben habe, das erste Mal mit fatalen Folgen war kein Geschenk, keine Gnade, ich war nicht stolz darauf und auch nicht glücklich mit ihr, sondern empfand sie vielmehr als eine meine Kräfte übersteigende Herausforderung. Ein Kassandra-Schicksal. Ich würde auf manches gerne verzichten, manches rückgängig machen wollen, manches am liebsten vergessen. So vor allem das Bild des von einer Bombe abgerissenen Beines eines afghanischen Soldaten, das mir mehr als einmal vor dem Einschlafen vor meinem geistigen Auge erscheint. Anderseits habe ich auch neue Überzeugungen gewonnen, die das Leben und seine Gesetze in einem anderen Licht und den Gedanken an den Tod weniger schrecklich erscheinen lassen.
    Wenn Sie

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