Der Bund der Drachenlanze - 07 Michael Williams
kennt, muß schon taub sein. Wir
wußten von ihm, haben ihn aber noch nie gesehen. Wie
hätten wir diesen Besuch erwarten können? Dieses wilde
Gewucher von Ranken?«
Gunthar warf Fürst Bonifaz einen wütenden Blick zu,
und die vier Ritter versanken in ihre Gedanken.
»Es ist schon spät«, meinte Alfred nach einer langen Pause, »und unsere Gedanken werden allmählich wunderlich.
Vielleicht sollten wir besser morgen früh darüber reden,
wenn die Sonne scheint, als jetzt im zweifelhaften Licht der
beiden Monde.«
»Ich stimme Fürst Alfred zu«, schloß sich Fürst Bonifaz
an, und auch Fürst Gunthar nickte.
»Aber, Moment mal. Wer ist Vertumnus?« fragte Sturm.
Unbehaglich sahen die Ritter einander an.
»Ich habe gehört«, fing Fürst Alfred an, »daß er ein abtrünniger Ritter ist, dessen Pfad sich mit dem von Elfen
und allen möglichen absonderlichen Geschöpfen des Waldes kreuzt. Ich habe gehört, daß er dort unten im Südlichen
Finsterwald eine Räuberbande aus Neraka anführt.«
»Ich habe gehört, Vertumnus sei ein Druide«, erklärte
Fürst Gunthar. »Ein mächtiger, heidnischer Priester, dessen
Herz so hart und knotig wie Eiche ist. Sein Heiligtum im
Finsterwald ist ein abweisender Ort, wo Vögel die letzten
Worte von Schurken singen und die Toten wie Obst von
den Bäumen hängen.«
Sturm runzelte die Stirn. Das klang sogar noch phantastischer als der abtrünnige Ritter.
»Und ich habe gehört«, fiel Fürst Stephan ein, der Staub
hochtrat, »daß sein Blut reine Hexenkraft ist und seine
dunklen Augen aus Stein vom schwarzen Mond Nuitari
gemacht sind. Ich habe gehört, der Südliche Finsterwald ist
reine Illusion, ein Kind des Schwarzen Mondes und der
Träume des Zauberers.«
»Und dennoch besucht er uns am Julabend?« fragte
Sturm. »Und, ob Zauberer oder Druide oder Raubritter, wir
lauschen ihm gebannt? Wie… wie konnte das geschehen?
Und weshalb?«
»Ich nehme an«, stellte Fürst Bonifaz trocken fest, »Fürst
Gunthar wird bald eine Antwort darauf haben. Wie ein
einzelner Mann sich durch Postenreihen der besten jungen
Männer von Solamnia schleichen konnte, und das mit diesem großen Keiler bei sich…«
»Großer Keiler?« riefen die anderen vier und drehten
sich allesamt zu Fürst Bonifaz um. Der große Ritter runzelte die Stirn, als Alfred ihm unsicher die Hand auf die
Schulter legte.
»Wir… wir haben keinen Keiler gesehen, Fürst Bonifaz«,
erklärte der Hofrichter. »Vielleicht das Durcheinander des
Abends… oder der Wein…«
»Ich sage Euch, was ich gesehen habe, war ein Keiler!«
beharrte Bonifaz wütend. »Und wenn ich ihn gesehen habe,
dann war er auch da, bei Paladin und Majere und jedem
anderen guten Gott, der Euch einfällt!«
»Sei es, wie es will, wir haben keinen Keiler gesehen«,
wiederholte Alfred geduldig. »Nur den Schwarm Raben im
Gebälk…«
Er hielt inne, als die anderen Ritter ihn verwirrt anstarrten.
»Ihr… Ihr habt keine Raben gesehen«, schloß er matt.
»Keiner von Euch.«
»Ich habe nicht nach oben gesehen«, beruhigte ihn Stephan. »Aber, bei Paladin und allen anwesenden Göttern,
ich erinnere mich an die schrillen, unverschämten Dryaden,
die der grüne Mann mitgebracht hat.«
Jetzt wurde er neugierig angestarrt. Die Ritter waren aufs
höchste verwundert.
»Auch etwas aus Korn und summenden Bienen«, murmelte Stephan, »und ein großer Bär, kein Keiler, der in der
Mitte tanzte.«
»Nein, nein«, korrigierte Gunthar. »Es war nur Vertumnus da. Dessen bin ich mir ganz sicher.«
»Ein Spiegellabyrinth, die ganze Sache«, murmelte Stephan.
»Aber das Blutvergießen?« fragte Sturm. »Das Harz, das
aus der Wunde floß?«
»Harz?« fragte Fürst Bonifaz ungläubig. Vier solamnische Augenpaare wandten sich dem Jungen zu, als hätte er
plötzlich bekanntgegeben, daß die Monde vom Himmel
gefallen waren.
Stephan lachte in sich hinein, wurde dann aber plötzlich
traurig, als er den zitternden Jungen ansah, der vor ihm auf
der ungemütlichen Bank saß. »Was wir auch gesehen haben, Sturm, das Problem ist, daß wir uns einig sind, daß du
verwundet wurdest, daß du den Herrn der Wildnis aus
Wut niedergestochen hast, und daß wir alle anschließend
seine Forderung gehört haben.«
»Der Junge wurde verwundet?« fragte Gunthar alarmiert. Er trat auf Sturm zu und streckte die Hand aus. »Wo
hat er dich getroffen, Sturm?«
»An der Schulter«, antwortete der Junge und zeigte auf
die Wunde…
… die restlos verschwunden war. Der reinweiße
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