Der Chancellor
Schiffsofficiere gesprochen, ebenso über die Mannschaften und über das Benehmen Aller in dieser Zeit der Gefahr. Alle haben Proben des Muthes und der thatkräftigen Entschlossenheit abgelegt. Der Lieutenant Walter, der Hochbootsmann und der Schiffszimmermann Daoulas zeichneten sich ganz besonders aus, das sind wackere Männer, gute Seeleute, auf die man sich verlassen kann. Robert Kurtis ist über jedes Lob erhaben. Jetzt, wie immer, scheint er sich zu verdoppeln und ist überall zur Hand; Schwierigkeiten bieten sich nur, um von ihm überwunden zu werden; durch Wort und That feuert er seine Matrosen an; er bildet gleichsam die Seele der ganzen Mannschaft, die nur durch ihn handelt.
Seit sieben Uhr Morgens begann das Meer inzwischen wieder zu steigen; jetzt, um elf Uhr, sind die Spitzen der Felsen bei der Fluth alle wieder verschwunden. Es steht zu erwarten, daß das Wasser im Schiffsraum um ebenso viel steigen wird, als das Meer außerhalb. Das geschieht wirklich. Die Sonde ergiebt neun Fuß, und wiederum sind neueSchichten der Ballen überschwemmt, worüber wir uns jedoch nur Glück wünschen.
Seit Eintritt der vollen Fluth ist der größte Theil der das Schiff umgebenden Felsmassen untergetaucht; nur die Umfassung einer Art kleinen Beckens bleibt noch sichtbar, das einen Durchmesser von 250 bis 300 Fuß hat und dessen nördlichen Winkel der Chancellor einnimmt. Das Meer erscheint recht ruhig, und seine Wellen gelangen nicht bis zum Schiffe; – glücklicher Umstand, denn da es ganz unbeweglich fest liegt, würde es ebenso, wie eine Klippe gepeitscht werden.
Um elfeinhalb Uhr wird die Sonne, die bis dahin von einigen Wolken verdeckt blieb, recht zur gelegenen Zeit sichtbar. Schon am Morgen gelang es dem Kapitän, einen Stundenwinkel zu messen, jetzt bereitet er sich zur Aufnahme der Mittagshöhe, die er um 12 Uhr ganz genau ermittelt.
Er begiebt sich nach seiner Cabine, führt die nöthigen Berechnungen aus und kommt nach dem Oberdeck zurück.
»Wir befinden uns, meldet er hierüber, unter achtzehn Grad fünfundvierzig Minuten nördlicher Breite und fünfundvierzig Grad dreiundfünfzig Minuten westlicher Länge.«
Der Kapitän erläutert unsere Lage noch Denjenigen, die mit der Bedeutung dieser Zahlen weniger vertraut sind. Robert Kurtis sucht mit Recht Nichts zu verheimlichen, er will, daß sich Jeder darüber klar sei, was er unter den gegebenen Verhältnissen zu erwarten habe.
Der Chancellor ist also unter 18° 45' nördlicher Breite und 45° 53' westlicher Länge auf einem noch auf keiner Seekarte verzeichneten Riffegescheitert. Wie kann aber ein solches in diesem Theile des Atlantischen Oceans vorhanden sein, ohne daß man von ihm Kenntniß hat? Sollte das Eiland erst von jüngerer Bildung und durch irgend eine Plutonische Erhebung entstanden sein? Ich sehe wenigstens keine andere Erklärung jener Thatsache.
Doch dem sei, wie es will, jedenfalls befindet sich das Eiland mindestens 800 Meilen von Guyana, das ist das nächstbenachbarte Land, entfernt. Die Eintragung des Punktes auf der Karte hat das unzweifelhaft ergeben.
Der Chancellor ist also bis zum achtzehnten Breitengrade nach Süden hinab gelangt, zuerst in Folge der sinnlosen Hartnäckigkeit Silas Huntly's, nachher durch den Nordweststurm, der ihn zum Entfliehen nöthigte. Der Chancellor hat demnach noch 800 Meilen weit zu segeln, bevor er das nächst gelegene Land anlaufen kann.
So gestaltet sich unsere Lage. Sie ist wohl ernst, doch machte die offenherzige Mittheilung des Kapitäns keinen üblen Eindruck, – wenigstens für den Augenblick. Welch' neue Gefahren hätten uns auch so bedrohlich erscheinen können, nachdem wir dem Feuer und der Explosion so glücklich entgangen waren? Jedermann vergißt, daß der Kielraum mit Wasser gefüllt ist, daß das rettende Land uns so fern liegt, daß der Chancellor, wenn er wieder flott wird, leicht sinken kann ... Jetzt stehen die Gemüther noch unter dem Eindruck des jüngsten Schreckens und neigen in einem Augenblick der Ruhe weit mehr zum Vertrauen hin.
Was wird Robert Kurtis nun zunächst vornehmen? Ganz einfach das, was der gesunde Menschenverstand empfiehlt: das Feuer vollständig löschen,die ganze Fracht, oder doch einen Theil derselben über Bord werfen, das Colli mit Pikrat nicht zu vergessen, den Leck verschließen und nach Erleichterung des Schiffes dasselbe unter Mithilfe der Fluth wieder flott zu machen suchen.
XVII.
Fortsetzung vom 30. Oktober. –
Gelegentlich eines unsere jetzige
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