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Der Chefarzt

Titel: Der Chefarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Argirov Valentin
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jetzt in der Kitteltasche hielt, war Lisa neugierig. Sie hatte inzwischen gelernt, die Hände, die sie untersuchten, zu unterscheiden. Es gab unerfahrene und geschulte, mit einem professionell unpersönlichen Griff, und es gab solche, die das Wesen des Arztes widerspiegelten – zuvorkommend und einfühlsam. Nur blieben Bertrams Hände weiter in den Taschen, sein dunkler Blick war auf sie gerichtet, während Fritsch eifrig sagte: »Das ist die Patientin mit dem Oberbauchtumor, von der ich Ihnen schon berichtet habe. Leider läßt sich seine Organzugehörigkeit bis jetzt nicht sicher einordnen …« ›Er hört ihm gar nicht zu‹, ging es Lisa durch den Kopf, ›er ist von etwas anderem völlig in Anspruch genommen.‹ Und wie zur Bestätigung dieses Gedankens hörte sie Bertram zu Fritsch sagen: »Führen Sie die noch ausstehende röntgenologische Untersuchung des Magens durch. Wenn sich nichts ergeben sollte, veranlassen Sie eine Pankreasangiographie …«
    Zu Lisas maßloser Enttäuschung ging er, ohne sie zu untersuchen.

3
    An diesem Tag beendete Bertram seine Visite auf der Frauenstation vorzeitig. Er begab sich gleich auf sein Zimmer. Kaum angekommen, stellte seine Sekretärin ein Ferngespräch mit einem ihm befreundeten Landrat namens Weber durch. Es ging um die Wahl des Chefarztes der inneren Abteilung des Kreiskrankenhauses, das Weber unterstand. Der aussichtsreichste Kandidat war Bertrams Schützling, einer seiner Oberärzte.
    »Es sind Schwierigkeiten aufgetaucht.« Webers dünne Stimme ließ ein unpassendes Kichern vernehmen. »Der Kreistag neigt mehr zum Gegenkandidaten, die Liberalen machen sich für ihn stark. Ob wir die Mehrheit …«
    »Sag das nicht«, entgegnete Bertram gereizt, »du hast's mir versprochen.«
    »Der Kreisausschuß läßt mich im Stich«, gab der Landrat kleinlaut zu. Beide Kandidaten waren achtbare Persönlichkeiten, Oberärzte an führenden Universitätskliniken, und beide katholisch. Sie hatten eine fast gleich lange Liste wissenschaftlicher Publikationen vorzuweisen, nur politisch waren sie anderer Couleur, und darauf kam es an. Bertram überlegte. Er kannte die Menschen in dieser Gegend. Was wäre hier wichtig?
    »Nehmen wir an«, unterbrach er den immer noch sprechenden Landrat, »dieser Herr hätte Familienschwierigkeiten, er würde in Scheidung leben. Das läßt eine Menge häßlicher Dinge aufkommen, nicht wahr? Werden deine Leute gewillt sein, so einen zu nehmen?«
    »Das weniger«, stimmte Weber zu, »damit läßt sich einiges anfangen. Nur ist der Kerl gut verheiratet. Seine Frau ist auf dem Damm. Sie weicht ihm nicht von der Seite.«
    »Darauf kommt es nicht an.« Bertrams Stimme klang kühl. »Wichtig ist nur, was die Leute glauben.« Die Stille am anderen Ende dauerte eine Weile.
    »Verstehe.« Webers Stimme klang entgeistert. »Wir werden es jedenfalls versuchen.«
    »Nicht zu früh.« Widerwillig fuhr Bertram fort: »Man soll es unmittelbar vor der Abstimmung anbringen …«
    Die Wahl wurde zugunsten seines Kandidaten entschieden, mit zwei Stimmen Mehrheit.

4
    Das Begräbnis der Gräfin Kerckhoff wurde zu einem Ereignis. Der Landadel war, bis auf wenige Ausnahmen, vollzählig vertreten. Tageszeitungen und Magazine hatten ihre Reporter geschickt. Bertram sah Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, von denen er nicht wußte, daß sie Elisabeth kannten; er sah viele Schauspieler, zwei bekannte Opernsänger und noch einige Berühmtheiten. Ein schlanker, hochgewachsener Herr mit grauen Schläfen winkte ihm zu, und er erkannte Karl Nolden. Nach einiger Zeit gab er sein Suchen nach Malvina auf, sie war nicht gekommen. Später, als sich die Blitzlichter der Fotografen auf ihn richteten, war er über ihre Abwesenheit froh. Die Zeitungen würden die alte Geschichte von seiner Verlobung mit Karen wieder aufwärmen.
    Erst zum Schluß sah er Stephan Thimm. Stephan stand vor dem offenen Grab mit abwesendem Gesicht. In seiner Hand hielt er einen altmodischen Hut. Als sich ihre Blicke trafen, verzog er keine Miene.
    Hastig, mit vier Spaten zugleich, wurde das Grab zugeschaufelt.
    Auf dem Rückweg vom Friedhof erinnerte sich Bertram plötzlich, warum ihm Stephans Hut so bekannt vorkam. Diesen Hut hatte er eine Woche nach seinem ereignisvollen Sonntag im Hause Kerckhoff zum erstenmal bei ihm gesehen. Es war ein weicher, grauer Hut mit schwarzem Band, einer dieser Hüte, die nach dem Kriege in vornehmen Kreisen getragen wurden.
    Er sah ihn auf Stephans Schreibtisch neben

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