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Der Chefarzt

Titel: Der Chefarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Argirov Valentin
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Es war Neuland.
    Der Abend fing mit einer Enttäuschung an. Thimm untersuchte die Leber einer besonders trinkfesten Ratte, die Bertram mit Alkoholmengen traktiert hatte.
    »Nichts«, brummte er. Mit einer müden Bewegung schob er das Mikroskop beiseite. »Wir sollten den Tieren mehr Zeit lassen. Du steigerst die Alkoholmengen zu schnell.« Thimm hatte recht. Die Tiere starben an Alkoholvergiftung, bevor sich eine Leberzirrhose bei ihnen entwickelte. »Ich hab' Hunger«, sagte Bertram unglücklich. »Hast du Zigaretten?«
    »Nein. Und auch keinen Pfennig …«
    Großer Gott, waren sie ausgehungert. Das Essen in der Mensa hätte eine Katze sättigen können, nicht zwei junge Männer, die täglich sechzehn Stunden arbeiteten.
    Dann war Karen hereingekommen.
    Er sah sie zum erstenmal an diesem Abend. Später erfuhr er, daß sie des öfteren hiergewesen war, tagsüber bei Thimm, der mehr Zeit für ihre Arbeit erübrigte. Karen trug ein Kopftuch, das ihr schulterlanges Haar verdeckte, einen dunkelgrünen Mantel mit gesteppten Aufschlägen und einem breiten Gürtel um die schlanke Taille. Sie zeigte auf eine Kasserolle, die sie in der Hand hielt, und sagte ungezwungen: »Damit ihr nicht verhungert.«
    Thimm sagte verlegen: »Das ist Schwester von Kerckhoff.«
    »Karen«, sagte sie. Ihre Hand war angenehm, der Griff nicht übertrieben fest. Sie lächelte.
    Nicht nur dieses Lächeln und die legere Art, sich den Menschen zu nähern, gehörten zu seiner ersten Erinnerung an sie. Es war da noch etwas, was seine Eitelkeit reizte. Mit einem Blick auf die Kasserolle hatte er gefragt: »Sind Sie eine echte ›von‹? Was haben Sie da drin?«
    »Serbische Bohnensuppe und Rippchen mit Sauerkraut. Sehr scharf, sagt Nanja …«
    »Wer ist Nanja?«
    »Meine Amme. Sie ist zugleich unsere Köchin.«
    »Sagen Sie, gute Fee«, fragte Bertram und ignorierte Thimms Blick, »Sie haben nicht zufällig ein paar Glimmstengel bei sich?«
    »Lucky Strike. Zwei Päckchen aus Gräfins Vorrat …«
    »Die Gräfin?!«
    »Meine Mutter. Sie ist jähzornig, sonst eine gute Haut. Raucht wie eine Zigeunerin.«
    »Geben Sie mir eine Zigarette.«
    »Essen Sie etwas, Doktor Bertram. Die Suppe wird kalt …«
    »Ich möchte eine Zigarette«, sagte Bertram.

6
    Nach diesem Abend vergingen zwei Monate. Karen war immer wieder gekommen. Zum Schluß allabendlich zur gleichen Stunde, und wenn sie sich verspätete, wurden beide unruhig und schauten verstohlen auf die Uhr.
    Zunächst langsam, dann immer mehr, trat eine tiefgreifende Veränderung in ihrem Leben ein; sogar das kleine Kellerloch, großspurig als Labor bezeichnet, unterlag einer Wandlung. Der Mäusedreck wurde weggeräumt, man sah Blumenvasen, meistens mit Veilchen. Der Raum wirkte heller und einladender; fortan wurde regelmäßig gelüftet. Diese Veränderung, durch Frauenhände bewerkstelligt, hörte hier nicht auf. Ihre Verpflegung besserte sich, es gab regelmäßig Zigaretten.
    Karen war nicht nur eine unaufdringliche Zuhörerin, sie besaß den Sinn für das Praktische, der vielen Frauen eigen ist. Es passierte, daß sie mit verblüffender Einfachheit zur Lösung eines Problems beitrug, das sie selbst kompliziert hatten. Aus diesem Grunde war sie auch Krankenschwester geworden. Sie war eine der wenigen Frauen, die ihren Beruf nicht nur als Sicherheit betrachteten, sie fand darin Erfüllung. Der Reichtum ihrer Mutter ließ sie unberührt.
    Karen verkörperte (im Gegensatz zu Malvina) nicht den Typ der intellektuellen Frau, es lag ihr wenig daran, diese Rolle zu spielen.
    Sie gewöhnten sich an ihre Anwesenheit, und wenn sie, woanders eingeladen, an einem Abend nicht kam, wurden sie reizbar, stritten wegen Belanglosigkeiten.
    Sie hatten sich nicht viel aus Frauen gemacht, sagte sich Bertram, als er nach seinem Besuch bei Herrn Girstenbrey und einer langen Fahrt durch die Stadt in seinem Zimmer in der Klinik angelangt war. Bis Karen in ihrem Leben erschien. War er nicht stets darum bemüht, vom ersten Augenblick an Eindruck bei ihr zu schinden? Er hatte alle seine Vorteile Stephan gegenüber bewußt und unfair ausgespielt, um sie auf seine Seite zu ziehen.
    An einem Sonntag fuhren Karen und er zu ihr nach Hause. Sie waren das erste Mal allein, ohne Stephan. Er versuchte, mit einem Lächeln sein Unbehagen zu verbergen, und redete viel.
    »Es verstößt gegen die Spielregeln. Einem wissenschaftlichen Assistenten steht es nicht an, eine Gräfin kennenzulernen. Ein Assistent der Universität muß ein

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