Der Chefarzt
bester Freund und Karen ein anständiges Mädchen.‹
»Ich liebe dich«, sagte Karen. Sie überlegte. »Ich habe dich immer geliebt, solange …« Es war Karens Art, es zu sagen ohne die übliche Affektiertheit solcher Augenblicke. »Solange ich dich kenne.« Er mußte an das erste Mal denken, als sie ins Labor kam mit einer Kasserolle serbischer Bohnensuppe und amerikanischen Zigaretten.
Die kleinen Tricks der Koketterie waren Karen fremd. Sie hielt sie für ihrer Liebe unwürdig.
Der Grund ihrer Verstimmung hieß Tilly, eine jener Medizinstudentinnen, die schon immer für Bertram schwärmten. Zu dieser Zeit machte in der Universität das Gerücht von einem Verhältnis Tillys mit Professor Auerbachs Vorlesungsassistenten Dr. Bertram die Runde. Über den Stand der Dinge wurde Karen von Kerckhoff durch einen anonymen Brief aufgeklärt. In diesem Brief wurden freimütig Tillys Orgasmusprobleme behandelt.
5
Am Tage nach Gräfins Begräbnis wurde Professor Bertram von einem blassen, höflichen Kriminalbeamten namens Peppinhege in der Klinik aufgesucht. Er kam auf Veranlassung von Staatssekretär Schiepka, den Bertram gebeten hatte, die Angelegenheit mit dem verschwundenen Schmuck diskret zu regeln.
Herr Peppinhege war Mitte Vierzig, lächelte scheu und hatte eine kalte, etwas feuchte Hand. Sein Unbehagen in Bertrams stilvoll eingerichtetem Zimmer überspielte er mit routinierter Sachlichkeit. Für seine Fragen zog er ein Notizbuch zu Rate. Er war gut informiert.
»Wir ermittelten, daß Gräfin Kerckhoff ihren Schmuck mit hoher Wahrscheinlichkeit vor ihrem Tode bei sich gehabt hatte. Die Nachtschwester sah die geschlossene Schmuckkassette bewußt zum letztenmal gegen neun Uhr abends. Um fünf Uhr früh war die Kassette offen und leer. Der Diebstahl, wenn zum jetzigen Zeitpunkt davon gesprochen werden kann, geschah demnach in der Nacht, als die Kranke schlief.«
»Zweifeln Sie an einem Diebstahl?«
»Einen sicheren Beweis dafür fanden wir bisher nicht. Die Nachtschwester hat die geschlossene Kassette gesehen, was nicht ausschließt, daß sie zu diesem Zeitpunkt bereits leer war.«
»Wer könnte sonst den Schmuck aus der Kassette genommen haben?«
»Die Gräfin selbst zum Beispiel.«
»Dann müßten die Juwelen auffindbar sein.«
»Um das zu erreichen, müßte ich etwas mehr über sie wissen. Sie erlauben ein paar Fragen?«
Bertram nickte.
»Wissen Sie, warum die Gräfin ihre Juwelen nicht bei der Bank deponiert hatte? Immerhin hatten sie einen Wert von etwa 600.000 Mark.«
»Das wurde ihr mehrmals von mir nahegelegt, ebenso von der Verwaltung. Nur hatte Frau von Kerckhoff ihre eigenen Ansichten darüber.«
»War sie launenhaft?«
»Sie war eigenwillig. Auf eine einleuchtende Weise. Sie meinte, sie hätte den Schmuck nicht, um ihn in einem Safe liegenzulassen. – Sie dürfen rauchen …«
»Danke. Ich fand die Versicherungspolice nicht. Sie wissen nicht, bei welcher Gesellschaft der Schmuck versichert war?«
»Nein.«
»Auch nicht, welche Bank Gräfins Vermögen verwaltete?«
Bertram zuckte die Schultern. »Mit ihren finanziellen Angelegenheiten bin ich nicht vertraut. Ich hatte keine Zeit dafür. Was den Schmuck betrifft, halte ich die Schwestern auf meiner Privatstation für vertrauenswürdig.«
»Die Wahrscheinlichkeit, daß professionelle …« Herr Peppinhege zuckte ebenfalls die Schultern. »Ich nehme an, die Gräfin hat Sie als Testamentsvollstrecker eingesetzt?«
»Davon ist mir nichts bekannt.«
»Wissen Sie, wer ihr Rechtsanwalt oder Notar ist?«
»Und Sie?«
»Es geht aus Gräfins Papieren nicht hervor. Eine vermögende Frau wie sie hinterläßt im allgemeinen ein Testament. Sie geben mir recht?«
Ein Stück des Weges
1
Zwischen den Professoren Bertram und Holländer bestand keine offene Fehde. Ihre Abneigung beruhte auf Gegenseitigkeit und war im Laufe der Jahre in eine frostige Höflichkeit übergegangen, die verletzend wirkte. Über ihre wahren Gefühle bestand kein Zweifel.
Dr. Bertram verzieh Dr. Holländer unter anderem eine Kleinigkeit nicht, die bei ihm, einem Manne von zweifellos großzügigem Charakter und keinesfalls nachtragend, zumindest überraschte. Es war sein erster Tag in der Klinik vor siebzehn Jahren, als der frischgebackene Assistent Bertram, ein etwas linkischer junger Mann aus der Provinz, hierher kam, um die Universität zu erobern.
Diesem Tag zu Ehren trug er seinen Abiturientenanzug. Er ging mit geschwollener Brust die Universitätsstraße hinauf und
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