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Der Chefarzt

Titel: Der Chefarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Argirov Valentin
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einem Schädel mit abgesägter Decke, der ihnen damals als Aschenbecher diente.
    »Wo hast du den Hut her?« Bei seinem Anblick hatte Bertram einen Lachanfall bekommen.
    »Ich habe ihn nicht gestohlen. Hör auf zu lachen. Das Ding hat mich meine ganzen Ersparnisse gekostet.«
    »Wozu? Willst du … ooh, heiraten?«
    »Hör auf, Hannes«, sagte Stephan drohend.
    »Also gut. Was ist los?«
    »Eine Einladung …«
    »Wo zum Teufel bist du eingeladen? Los, erzähl!«
    »Ich diniere auf Einladung einer hochgestellten Persönlichkeit in deren vornehmem Haus …«
    »Im Hause Kerckhoff?!«
    »Jetzt hast du mir den Spaß gründlich verdorben, du Klugscheißer!« sagte Stephan Thimm.
    Bertram hatte eine schlimme Woche hinter sich. Ohne Grund und ohne Erklärung mied Karen seine Gesellschaft. Sie ließ sich kaum blicken, und wenn er sie traf, war sie kühl und distanziert. Im Laboratorium ignorierte sie seine Anwesenheit. Am Ende dieser Woche fühlte er sich unglücklich wie nie zuvor. Er war freudlos, die Arbeit ekelte ihn an. Abends lag er im Bett und konnte nicht einschlafen.
    In dieser erzwungenen Einsamkeit prüfte Bertram seine Gefühle. Das erste Mal in seinem Leben fühlte er sich von einer Frau angezogen. Bis jetzt hatten die Frauen nur Fragmente in ihm hinterlassen: ein rundes, sinnliches Gesicht die eine, volle, wippende Brüste die andere; eine seiner Kommilitoninnen hatte einen auffallenden Gang. Er fühlte sich leer und ausgehungert. Bis jetzt hatte er keine Frau auf diese Weise vermißt, seine Erlebniswelt bestand aus einer Kette von Zufallserregungen. Die Liebe war ihm noch nicht begegnet.
    ›Sie behandelt mich wie einen untreuen Liebhaber‹, dachte er, von der Intensität dieses Gedankens betroffen. ›Dabei haben wir uns nicht einmal geküßt. Sie läßt mich zappeln.
    Diese Ungewißheit tötet einem den Nerv. Ich werde – was für ein Unsinn – eifersüchtig auf Stephan. Ach, hol's der Teufel.‹
    Er tappte durch die erste Woche seiner wortlosen Auseinandersetzung mit Karen. Ihre Haltung blieb ihm unerklärlich; er war sich keiner Schuld bewußt. Dennoch lehnte er sich instinktmäßig gegen sie auf, gegen seine Sehnsucht nach ihr. Es war vollkommen abwegig, wenn er darüber nachdachte; er gehörte nicht in denselben Stall, es war lächerlich, sich solche Hoffnungen zu machen. Was hätte er ihr schließlich bieten können? Ein wissenschaftlicher Assistent, der ohne die monatliche Unterstützung von zu Hause nicht über die Runden kam; zwischen ihrer und seiner gutbürgerlichen Familie lagen Welten. Er malte sich Gespräche zwischen Karen und ihrer Mutter aus: »Du sagst, sein Vater ist Bürgermeister. Das ist doch kein Beruf, Karen. Die Mutter ist Hausfrau? Die Familie lebt in der Oberpfalz, siebentausend Seelen? Liebes Kind, der junge Mann ist ganz nett, vielleicht bringt er es weit und macht Karriere, falls er das Zeug dazu hat. Das weiß man erst hinterher. Hör zu, Karen, dir liegt die Welt zu Füßen.« Verdammte alte Hexen, die Gräfin und die Nanja, dabei hatten sie nicht unrecht. Was lag ihm eigentlich an Karen? Hilflos überlegte er und sagte sich einfältig: ›Sie hat Niveau.‹
    Aber solche Augenblicke waren selten, das Liebesleben müßte erfüllt sein. Wenn er sie allzusehr vermißte, dachte er an die vergangenen Monate, als sie gut zueinander waren, und an das Verlangen, das er hinter ihrer Neckerei zu verspüren glaubte. Im Grunde kam es zu keiner völligen Entmutigung, dafür war er ein zu aktiver Mensch.
    Am vierzehnten Tag lieh er sich den VW eines Kommilitonen und fuhr zu Karens Haus. Er wollte eine Aussprache.
    Er parkte das Auto nahe dem Eingang und ließ den Zündschlüssel stecken. Er bereitete sich auf ein langes Warten vor, hatte Angst vor dem Augenblick von Karens Rückkehr. Eine halbe Stunde später hörte er das Aufbrummen ihres Autos, der schwarze VW hielt vor dem Eingang, und Karen stieg aus. Am Steuer saß ein Mann, von dem sie sich, wie es ihm schien, zärtlich verabschiedete, bevor dieser mit ihrem Auto davonfuhr.
    Statt mit Karen zu sprechen, war er ihm in blinder Wut durch die ganze Stadt nachgefahren, fand Genugtuung in der Vorstellung, ihm eine runterzuhauen. Wer war Karens heimliche Liebe? Anschließend, als das Auto in das Universitätsgelände einbog und vor dem Personalhaus stehenblieb, sah er im Licht seiner Scheinwerfer Stephan aussteigen. ›Riesenrindviech‹, sagte er sich, als er hundert Meter weiter das Auto zum Stehen brachte, ›Stephan ist dein

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