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Der Chefarzt

Titel: Der Chefarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Argirov Valentin
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dem üblichen Mitleid des Arztes erklären ließ.
    So kam man nicht weiter, sagte sich Fritsch, als er wütend sein wirkliches Empfinden zu entwirren versuchte. Was er jetzt tun mußte, war, mit ihr über ihre Erkrankung zu sprechen und mit der Wahrheit bis an die Grenze des Zumutbaren zu gehen. Eine scheußliche Situation.
    Er faßte sich ein Herz. »Ich fürchte, um eine Operation kommen wir nicht herum.«
    Erschreckt fragte sie: »Was habe ich wirklich, Herr Doktor? Krebs?«
    Er breitete die Arme aus: »So kann man es nicht nennen. Ein Tumor bedeutet nicht immer etwas Bösartiges. Es gibt eine Reihe von gutartigen Tumoren, sie kommen sogar häufiger vor. Doch selbst wenn sich einige entartete Zellen finden sollten, so ist das bei der heutigen Medizin kein Malheur …« Während er auf sie einredete, kam er sich als Fremder vor, den diese Worte anekelten. Lisa gegenüber war es unfair.
    Diese ständige Wiederholung verdroß ihn.
    Es war immer die gleiche Art, wie man Menschen beibrachte, daß sie Krebs hatten, ohne dieses vernichtende Wort auszusprechen und ihnen gleichzeitig klarzumachen, warum sie sich alles gefallen lassen sollten. Von komplizierten, oft sinnlosen Operationen und Medikamenten, deren Nebenwirkungen das Ende noch schneller herbeiführten, bis zu Röntgenstrahlen, die auch das gesunde Gewebe zerstörten. Allerdings hatten auch die Gegner dieser Methoden dem nur christliche Barmherzigkeit oder orientalischen Fatalismus entgegenzusetzen. Wie immer man sich die Sache besah, es war wie verhext.
    Dabei gab es andere Dinge, über die er sie gern befragt hätte. Darüber, daß ihr Blick ihm ein Verständnis entgegenbrachte, an das er nicht gewöhnt war. Mit nichts verriet sie ihr Wissen um seine innere Unruhe, die ihn – den Arzt, der die anderen zu beruhigen hatte – ständig erfüllte. Sie war taktvoll und geduldig.
    »Ich denke, eine Zigarette würde mir jetzt guttun«, sagte sie, und er sah, wie sie ihre Schultern aufrichtete. Ihm schien diese kaum merkliche Bewegung Durchstehvermögen und Mut zu verraten. Sie saßen im Arztzimmer der Station, wo er solche Gespräche zu führen pflegte. Er griff zum Päckchen Zigaretten, das vor ihm lag, und bot ihr eine an. »Sie rauchen?«
    »Neuerdings. Danke.« Sie lächelte. »Ihre Frage unterstellt, daß Sie mir keine Laster zutrauen.« Aus der Art, wie sie mit der Zigarette umging, wie sie sie hielt und an ihr zog, sah er, daß sie keine Raucherin war.
    »Meine Nachbarin hat's mir beigebracht«, erklärte sie. »Noch wird mir nach einer Zigarette etwas schwindlig.«
    Daraufhin sagte Fritsch impulsiv: »Rauchen Sie nicht, das schadet der Gesundheit …« Und biß sich auf die Lippe.
    »Sogar, wenn man nicht mehr allzulange zu leben hat?«
    »Hören Sie …«
    »Warum sind Sie nicht aufrichtig zu mir? Die ganze Zeit warte ich auf ein klärendes Wort. Sie finden jeden Tag Ausflüchte, und die anderen …« Die Offenheit in ihrem Blick berührte ihn auf eine besondere Weise. »Sie sind der einzige hier, dem ich voll und ganz vertraue. Und Sie schweigen. Sie scheint meine Verzweiflung nicht zu berühren, vielleicht, weil ich nicht mit verheulten Augen herumlaufe. Am Ende glauben Sie noch, es macht mir nicht viel aus, weil ich so robust wirke. Ich habe das Recht zu wissen, was aus mir wird. Ich möchte mich vorbereiten auf das, was mich erwartet. Ist das so schwer zu verstehen? Diese Geheimnistuerei ist eine Art von Entmündigung Erwachsener. Sie sprechen uns das Recht ab, über unser weiteres Leben selbst zu entscheiden. Warum sagen Sie mir nicht endlich die Wahrheit!« Ihrer sonst ruhigen und besonnenen Art zuwider betrug sich Lisa jetzt, als hätte sie keine Zeit zu schweigen, sich abwartend zu verhalten.
    »Weil«, entgegnete Fritsch, »wir diese Wahrheit noch nicht kennen. Wir vermuten sie nur.«
    »Was haben Sie noch mit mir vor?«
    »Die Röntgenuntersuchung hat ergeben, daß Ihr Magen in Ordnung ist. Demnächst werden wir eine Gefäßdarstellung der Bauchspeicheldrüse durchführen, das hat der Chef bei der Visite angeordnet. Die Gefäßzweige in der Drüse zeigen ein bestimmtes Muster, daraus kann man gewisse Schlüsse ziehen …«
    »Und wenn«, sie zögerte etwas, aber dann hielt sie sich zurück, »wenn Sie's erfahren, würden Sie mir alles offen sagen?«
    »Wenn Sie Wert darauf legen …«
    »Wenn ich Wert darauf lege?«
    »Manche wollen's nicht wissen.«
    »Ich will es.« Ihre Stimme klang entschlossen. »Wenn ich bald mein Leben beenden soll,

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