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Der Chefarzt

Titel: Der Chefarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Argirov Valentin
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Auerbachs Schützling war. Zwei Monate nach Thimms Kriegserklärung gab Holländer klein bei. Professor Auerbachs Haltung Bertram gegenüber verlor fast augenblicklich ihre Aggressivität, sie wurde von einem höflichen Desinteresse abgelöst.
    Ein knappes Jahr darauf avancierte Bertram zum Stationsarzt. Er bekam eine Frauenstation, und Holländers und sein Weg trennten sich für kurze Zeit.

4
    Lisa kam es vor, als ob sie nach so vielen Ängsten alle Furcht verloren hätte. Nicht mehr die Frage, was aus ihr würde, quälte sie, sondern das Verlangen nach einem Menschen, den sie nie geliebt hatte, aber hätte lieben können, füllte ihre Tage. Dabei merkte sie nicht, daß dieses Verlangen bereits Gestalt angenommen hatte. In Dr. Fritsch sah sie mit der Schamhaftigkeit der treuen Gattin zunächst einen Mann, an den sie gerne dachte. Wie für jeden Kranken ersetzte das Krankenhaus auch für sie ihre bisherige Welt. Zu ihr bestand zwar eine Bindung, aber bald trat sie zurück, und die kleine Welt der Kranken verwandelte sich in eine große, in der das Leben neuen Normen und Begriffen unterworfen war. Weil die Kranken trotz aller Untersuchungen viel Zeit haben, reden sie viel. So hörte Lisa allerhand. In der Welt hier war man genauso gut informiert wie draußen, nur die Stars waren andere. Man begehrte vor allem die Ärzte.
    Von Fräulein Mörder erfuhr Lisa von der Rivalität zwischen Bertram und Holländer, und als die Stationsschwester nach einem Telefonat Fritschs Frau als unverschämte Person bezeichnete, fing Lisa an, die anderen über sie auszufragen. Sie hörte, daß Fritsch eine blutjunge Frau hatte und noch einiges an Klatsch, was ihren heimlichen Wunsch, Elena Fritsch kennenzulernen, noch mehr verstärkte. Nur kam sie im Gegensatz zu anderen Arztfrauen nie in die Klinik, sie telefonierte. Sie rief ihren Mann zur unpassendsten Zeit an und brachte die Schwestern in Rage. Fritsch wechselte die Farbe, als er ans Telefon geholt wurde, und stammelte unverständliche Sätze, aber aus seinem Verbot, ihn anzurufen, machte sich Elena nichts. Lisa beobachtete ihre Zimmergenossinnen. Die blaugesichtige Frau war Witwe und hatte einen erwachsenen Sohn, der sie regelmäßig besuchte und ihr zärtlich die Hand hielt. Die zwei Jugoslawinnen hatten wortkarge, schwerfällige Männer, und die nierenkranke Türkin wurde von ihren vier Kindern mit Süßigkeiten verwöhnt. Das magere Mädchen hatte einen Freund, der, selbst nicht älter als sechzehn, ihr jedesmal riet, viel zu essen. Sie lächelte tapfer und aß, um ihren guten Willen zu beweisen, ein Stück Schokolade, das sie, nachdem er weg war, erbrach.
    Fräulein Mörders Freund sagte zu ihr ›mein Schatz‹, er spielte mit seinen Armmuskeln und sah Lisa mit schamlosen Augen an. Auch Erwin kam und brachte kleine, belanglose Neuigkeiten von der großen Welt draußen, vom Kanarienvogel, den er, seit sie weg war, in Pflege gegeben hatte, und vom Betrieb.
    Früher wäre es ihr nicht entgangen, daß er gelöst, fast fröhlich wirkte, was seiner zur Hypochondrie neigenden Natur wenig entsprach. Erwin war ein Grübler. Nur ging diese Erkenntnis an Lisa vorbei, weil sie jetzt zum erstenmal in ihrem Leben von sich selbst in Anspruch genommen wurde.
    Hätte sich nicht der Tumor ihrer bemächtigt, wäre Lisa die Hausfrau geblieben, die sie war: brav und bieder in ihrem Reihenhäuschenreich, bemüht, dialektfrei zu sprechen und mit ihren Nachbarinnen auszukommen. Sie hätte zu niemandem gesagt ›Rutschen Sie mir den Buckel runter‹ oder ›Sie Schlampe‹. Wie so viele Frauen in den Hintergrund getreten, hätte sie weiter versucht, Erwin gerecht zu werden, als ob darin ihre Existenzberechtigung bestünde. Jetzt hatte die Erkrankung Lisa wachgerüttelt. Mit einer unbewußten Inbrunst lernte sie eine neue Seite ihres Selbst kennen, die ihr früher völlig unbekannt war. Sogar ihr Körper, jetzt ausgeruht und von keinem Schmerz geplagt, meldete sich mit einer seltsamen Unrast. So lag sie nachts wach, versuchte ihr Gemüt im Zaum zu halten und sagte sich ›Du Spinnerin‹, weil sie sich ihres Mangels an Überzeugung schämte.

5
    »Aber, warum interessieren Sie sich so für mich?« fragte Lisa.
    »Nun, Sie sind meine Patientin. Ist das nicht Grund genug?« war Fritschs Antwort. Obwohl er das als nichtssagend empfand, erschien es ihm plötzlich von entscheidender Wichtigkeit, ihr zu helfen. Diese Frau, deren Aussehen ihn beunruhigte, erweckte in ihm ein Gefühl, das sich keinesfalls mit

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