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Der Chefarzt

Titel: Der Chefarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Argirov Valentin
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übrigens stimmte.
    »Wer sind Sie dann? Ein Patient?«
    »Sie gestatten?« Elegant nahm Glücklich einen imaginären Zylinder von seinem Kopf: »Garibaldi. Zauberkünstler.« Doch vollzog der stämmige Körper das Komödiantische dieser Bewegung nicht nach. In seiner Jugend hatte sich Glücklich als Assistent eines Zauberkünstlers verdingt.
    »Sie gehen besser auf Ihr Zimmer«, befahl der Hagere, dessen Interesse verflogen zu sein schien. Er blickte zum Himmel. »Es kann jeden Augenblick losgehen.« Als ob dies für ihn nicht gälte, entfernte er sich mit dem gleichmäßigen Schritt eines Spaziergängers. Endlich wieder allein, schnappte sich Glücklich die Zeitung und lief, ohne sich um den Hut zu scheren, zum Schwesternhaus, während es in Strömen goß.
    Auf Rosemaries weißem Bettlaken hinterließ die Zeitung häßliche Flecken: »Wie schon gestern berichtet, wurde der Raub der Kerckhoffschen Juwelen von der Universitätsverwaltung zugegeben. Das Brillantkollier der Verstorbenen …«
    Jetzt kapierte er, warum sie ihm keine Zeitungen mehr brachte. Dieses Aas.
    Glücklich entleerte seine Blase ins Waschbecken.

2
    »Ein Witzbold«, richteten sich Thimms Gedanken auf Glücklich, »dem fällt die Decke auf den Kopf. Von dieser Sorte gibt's hier genug.« Glücklichs flinker Lauf belustigte ihn – es ist falsch zu glauben, die Geschmeidigkeit der Muskeln hänge ausschließlich vom Körpergewicht ab. Dieser kleine Dicke ist ein Beweis dafür. Dabei kümmerte ihn die nasse Zeitung mehr als sein Hut. Dann vergaß Thimm Josef Glücklich. Er löste sich von dessen belanglosem Gesicht und gab sich dem Empfinden der Regentropfen hin. Es war ein Regen, der auf dem Kies vernehmlich rauschte. Anschließend würde er in ein ausdauerndes Nieseln übergehen.
    Thimm drehte seine Runde weiter. Er fand es wichtig, sich von seinen Lebensgewohnheiten nicht abhalten zu lassen. Dazu gehörte die Runde im Park von fünf bis halb sechs. Sein Tag bis zu dieser ersten Pause war schwer, jetzt kamen Dinge, die er mochte: Zunächst pflegte er in alle wichtigen Befunde seiner Mitarbeiter selbst Einblick zu nehmen. Er kontrollierte die Schnellschnitte und gab sein eigenes Urteil ab. Erst dann gehörte die Zeit ihm und seiner wissenschaftlichen Arbeit. Oft mikroskopierte er bis spät in die Nacht – ein stiller, erfüllter Abend.
    Sein Wohlbefinden löste sich jedoch gleich auf, als er an die ›Nacktmäuse‹ dachte. Bei diesem Versuch gab es noch Unstimmigkeiten.
    Es gibt eine Sorte Menschen, die unter widrigen Umständen gedeiht, mit jeder Schwierigkeit wächst ihre Widerstandskraft. Thimm gehörte dazu. Er würde den Versuch immer wieder neu auflegen. Die Lösung war greifbar nahe, er spürte es.
    Er tat es nicht aus Fanatismus, wie es ihm nachgesagt wurde. ›Es ist wichtig‹, dachte Thimm, ›die Wahrheit so weit wie möglich zu erkennen.‹
    Wie ein stiller Träumer, der er aber nicht war, blieb Thimm unter den Kastanienbäumen stehen und spürte den nassen, widerwärtigen Geruch, den sie um sich verbreiteten. Sein feiner Geruchssinn widerlegte die Behauptung, Pathologen seien von dem Geruch der Sektionssäle abgestumpft. Er rümpfte die Nase und setzte seinen Gang fort.
    Der gefleckte Hund lief ihm entgegen und sah Bertrams Setter ähnlich. ›Komisch‹, dachte er bekümmert, ›daß ich jetzt daran denke.‹ Er müßte mit Hannes ein Hühnchen rupfen. Die Pathologie war für die Arbeit der verschiedenen Kliniken der Seismograph. In der letzten Zeit schien die Arbeit in der internen Klinik unter ihrem früheren Niveau zu sein, die Fehldiagnosen häuften sich, die Leichen wurden öfter als zuvor ohne Obduktion freigegeben. Was war mit Hannes los? Hatte er die Übersicht verloren? Ließ er die Zügel schleifen? Das wohl kaum, dafür war er ein zu verantwortungsbewußter Mensch.
    Am Ende der Allee angelangt, sah er das graue, hellerleuchtete Gebäude der internen Klinik. Der Regen hatte nachgelassen, und der Wind, jetzt kalt und durchdringend, kehrte zurück. Dies war ein Augenblick, um voller Dankbarkeit zu erkennen, daß es auch Wärme gab. Er fror bereits, als er kurzentschlossen zur internen Klinik ging. Einen Tee mit Rum und einen Plausch mit dem Freund, wie in alten Zeiten. In diesem Augenblick überraschten ihn zwei verschiedene Gedanken: ›Mir geht es gut‹ und: ›Sehr viele Menschen habe ich nicht geliebt.‹ Nun, Hannes gehörte zu ihnen.
    Er hatte eine andere Lebensart und Hannes' Freunde waren nicht seine. Dennoch

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