Der Chefarzt
gehörten sie zusammen. Er vermied, sich allzusehr in das Thema zu vertiefen. Bertrams Leben konnte seine Zustimmung finden, bedurfte ihrer aber nicht. Unbewußt nahm er das Bild zweier junger Frauen auf, einer großen hellhäutigen und einer schmalen rothaarigen, die schweigsam auf dem Treppenabsatz ihre Zigaretten rauchten. Die zwielichtige Geschichte mit dem Abgeordneten Meier war natürlich Unsinn. Hannes hätte sich des Universitätspsychiaters bedient und Meier nicht in eine Privatanstalt einliefern lassen. Beweis genug, daß er mit der Sache nichts zu tun hatte. Übertrieben war auch das Gerücht, er hätte sich eng an eine Partei gebunden. Hannes war zu sehr Arzt, es wäre seiner unwürdig. Er ging weiter durch den langen Korridor der Frauenstation.
Als er in Bertrams Vorzimmer trat, sprang die Sekretärin auf. Sie zeigte ein verstörtes Gesicht. »Ich fürchte, Sie dürfen jetzt …«
Sie stellte sich zwischen ihn und die Türe, als wolle sie sie verteidigen.
»Wer ist bei ihm?«
»Ihnen kann ich es verraten. Lothar Hessel.«
Von Thimms Regenhaut tropfte es. Der feuchte Fleck um seine Füße wurde schnell größer.
Er ist ein milder, ernster und friedlicher Mann, sagte sich Leopoldine Stein, während sie von ihrem Fenster Thimm im Park beobachtete. Für Bewunderung war sie anfällig. Ihr Zimmer befand sich neben Rosemaries, und weil sie sich beengt fühlte, schaute sie gern hinaus. Es war ein Unwetter im Anzug, das erhöhte ihre Rastlosigkeit. Leopoldine Stein war eine Frau, die aus allem eine Hauptattraktion machte, für sie war alles lebenswichtig, unaufschiebbar. Ihre Aufmerksamkeit wurde von dem, was sich im Park abspielte, gefesselt. Jetzt sprach Thimm mit einem bulligen Kerl, der mit einer theatralischen Verbeugung einen Schritt zurücktrat. Sie fand, Thimm sehe menschlich aus. ›So ein Mann würde mich erschüttern‹, sagte sie sich, ›dabei sieht er so witzig aus.‹
Dann lief der dicke Kerl im strömenden Regen auf das Schwesternheim zu, sicher ein heimlicher Romeo, wie der aussah. Gott weiß, wieviel von der Sorte die Nacht hier verbrachten.
Der Dicke verschwand im Eingang, und Thimms Silhouette war nur noch ein dunkler Strich, der sich bewegte. Leopoldine hörte, wie Rosemaries Türe leise aufging und zugesperrt wurde. Sie richtete sich auf einen einsamen Abend ein, während ihre Gedanken bei Thimm weilten: ›Was ist er für ein Mensch? Ich meine, in Wirklichkeit. Denn was er zeigt, ist zweifellos Fassade.‹
Sie wünschte sich jemand, der sie schlecht behandelte und den sie gut behandeln könnte.
3
»… und Sie dürfen die Rose nicht vergessen.«
»Was für eine Rose?«
»Zur Feier des Tages!« Bertrams Sekretärin zog ihren Notizblock zu Rate. Es stimmte, heute war sein Hochzeitstag. »Der siebte«, fügte sie sicherheitshalber hinzu.
Er nickte. Gewohnheitsmäßig sah er auf die sachlichen Bewegungen ihrer Finger und konnte sich nicht vorstellen, wie sie eine Rose entgegennahmen. Sein Stimmungswechsel an diesem Tage – von der Gereiztheit am Vormittag zu einer ungewohnten Ruhe – erweckte in ihm den Verdacht ungerechtfertigter Resignation. Eine Weile überfiel ihn das Gefühl, auf Widerruf zu leben, und argwöhnisch schaute er auf die Haut seines Handrückens. Sie begann, fleckig zu werden. Es war sinnlos, sich in der Hektik eines noch lange nicht beendeten Tages Gemütsregungen hinzugeben, während die Welt um ihn voller ungelöster Aufgaben war. Frauen und Männer lagen im Sterben, eine Zugehfrau hatte ihren Mann verloren, Stationsärzte warteten auf ihn, die Zeit für die Sprechstunde war wieder zu knapp oder die Patienten zu viel, die Sitzung des Fakultätskollegiums.
»Heute nicht«, befahl er seiner Sekretärin, die fortfuhr, die restlichen Termine mit ihm abzustimmen. Nach ihrer Berechnung wäre eine Verspätung von drei Stunden – es war fünf Uhr – noch einzuholen.
»Eine Stunde Fakultätskollegium kommt uns zugute«, sagte sie mit einem Blick auf die Uhr. »Wenn Sie auch noch auf die Assistentenbesprechung verzichten …« Sie überflog nochmals die Termine. »Dr. Fritsch ist zu einer Unterredung um achtzehn Uhr vierzig eingetragen, etwas Persönliches. Das hat Zeit. Um neunzehn Uhr kommt Staatssekretär Klose, er hält Sie immer lange auf, der Mann hat kein Zeitgefühl.«
»Kein Zeitgefühl«, wiederholte Bertram mechanisch. »Er will an keinem Augenblick des Tages auf seine eigene Bedeutung verzichten. Was kommt noch?«
»Feierabend«, sagte die
Weitere Kostenlose Bücher