Der Chefarzt
gerade dabei sind«, sagte er vorsichtig, »wie wäre es, wenn wir uns aussprächen. Was ist geschehen, seit wir …«
»Ich kann es mir denken, was du wissen willst. Frag mich.«
»Es gibt noch … jemand in deinem Leben?«
»Ja.«
»Wer ist es?«
»Schmidt.« Er war Staatssekretär im Kultusministerium mit guten Aussichten, eines Tages Minister zu werden. Bertram kannte ihn.
»Liebst du ihn?«
»Es ist leicht, Schmidt zu lieben.« Sie richtete sich ruckartig auf ihren Ellbogen auf, jetzt war ihr Gesicht über seinem. »Für eine Weile«, sagte sie nachdenklich, »habe ich diesen Zustand gekannt. Ich war sogar glücklich auf eine ganz gewöhnliche Weise. Ich war eine Frau und er ein Mann. Ich konnte mich so geben, wie ich war, ich brauchte nicht besser oder anders zu sein. Am Anfang fand ich es himmlisch. Verstehst du, er war ein Durchschnittsmensch, unkompliziert und sehr verständnisvoll, und er machte mich auch dazu …«
Mit ihren Lippen berührte sie sein Ohrläppchen und sagte leise: »Es gab Zeiten, wo ich meine Seele dafür hergegeben hätte, um von dir loszukommen. Und du?«
Er starrte mit verkrampftem Gesicht an die Decke; wenn er seine Kiefer zusammenpreßte, kamen die Kaumuskeln zum Vorschein, ein Zeichen, daß er mit seiner Beherrschung rang. Vorsichtig fragte Malvina: »Ist es dir auch so ergangen?«
»Ich bin allein mit meiner Rache geblieben.«
»Ich will dir alles sein, Frau und Geliebte«, sagte sie. »Ich bin eine Hure.«
9
In einem Brief an Hana Komarova berichtete Bertram, was zwischen Malvina und ihm und gegen seinen ursprünglichen Entschluß vorgefallen war. Er schrieb offen darüber und teilte ihr seine Entscheidung mit, sein weiteres Leben mit Malvina zu verbringen. Trotz seiner Bemühung um trockene Sachlichkeit machte er sich zum Schluß Selbstvorwürfe. Bewegt bat er sie um Verzeihung.
Noch in derselben Woche erhielt er eine Antwort von Hana. In diesem Brief versuchte sie ihn davon zu überzeugen, daß er sich nicht zu schämen brauchte. Seine Entscheidung, seinen Weg an der Seite dieser bewundernswerten Frau fortzusetzen, sei richtig; sie, Hana, mit ihrem entwurzelten Leben, könne keinem Vergleich mit ihr standhalten.
In diesem Brief erreichte Hanas Natur ihre wahre Größe; auch sie versuchte sachlich zu bleiben, nur überstieg offensichtlich ihr Selbstverzicht ihre Kräfte. Am Schluß verriet sie ihm ein Geheimnis: »Was ist sie doch für eine beneidenswerte Frau, Deine Malvina. Natürlich kenne ich sie. Sie hat mich hier aufgesucht, kurz nach dem Besuch Deines Freundes Professor Thimm. Wir haben uns ausgesprochen. Sie hat mich nie darum gebeten, es Dir zu verschweigen. Ich habe es Dir nicht erzählt, weil ich glaubte, daß es nur eine Sache zwischen zwei Frauen sei, die denselben Mann lieben. Malvina liebt Dich. Sie ist ein Mensch von großer Geradlinigkeit. Sie hat mir viel von sich erzählt, wir verstanden uns vollkommen. Ich wünschte, ich hätte diese Kraft, Dich so zu lieben …«
Nur am Rande erwähnte Hana, sie würde aller Wahrscheinlichkeit nach ihre Stelle wechseln und sich um eine andere Klinik bemühen, hier seien die Erinnerungen noch sehr frisch und schmerzlich. Sie beendete den Brief mit einem Wort in ihrer Muttersprache, das er von früher her kannte und dem Sinn nach mit ›mein Allerliebster‹ übersetzte.
Diesen Brief erwähnte er mit keinem Wort vor Malvina. Erst Jahre später wurde ihm bewußt, daß dieser Brief ein leidenschaftliches Liebesbekenntnis war und kein Abschied.
10
Professor Auerbachs Zustand besserte sich zusehends, und Bertram, der schon sechs Wochen bei ihm verbrachte, ließ sich auf Malvinas Drängen noch für drei weitere Wochen beurlauben. Inzwischen hatten sie endgültig beschlossen zu heiraten. Sie trafen die Vorbereitungen mit einer Hektik, als fürchteten sie, wieder daran gehindert zu werden.
Zu dieser Zeit – wie auch später, nach ihrer Heirat – erlebte Bertram eine neue Malvina. Sie zeigte sich ihm von einer völlig unbekannten Seite. Verblüfft fragte er sich, wie es möglich wäre, daß sich ein Erwachsener so vollkommen veränderte. Malvina war ein geradliniger Mensch und nicht imstande, sich zu verstellen. Sie befand sich in einer neuen Phase ihrer Entwicklung.
In seiner Erinnerung sah er sie als farblose Assistenzärztin, scheu und unansehnlich. Zunächst langsam und zögernd, dann schneller, hatte das Weibliche in ihr die Oberhand gewonnen. Er erinnerte sich sehr genau an ihren ersten zaghaften
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