Der Chefarzt
mir über dich gesprochen. Es ist ihm ernst damit.«
»Sehr aufschlußreich! Zu welchem Preis soll ich zurück? Hat er dir das verraten …«
»Die Zusage seiner Nachfolge! Er ist bereit, sie dir zusichern, zunächst inoffiziell, versteht sich. Man darf vor allem Holländer nicht unterschätzen. Es werden Widerstände zu überwinden sein. Aber der Alte wäre in der Lage, es zu erreichen.«
»Es könnten noch andere Gründe vorliegen, weswegen ich nicht zurück möchte.«
»Was sind das für Gründe?«
»Ich fühle mich hier wohl.«
»Verstehe! Weil wir gerade dabei sind, von Gründen zu reden, möchte ich …«
»Schieß los, ich warte schon die ganze Zeit darauf.«
»Du hast mich durchschaut?«
»Wir kennen uns lange genug. Es ist wegen Malvina, nehme ich an.«
»Du darfst nicht glauben …«
»Was ist mit ihr los?«
»Ihr Zustand ist erschreckend. Sie trinkt und treibt sich herum.«
»Hast du was dagegen? Warum soll ausgerechnet sie keinen Liebhaber haben?!«
Thimm berührte seine Schulter. »Darum geht es nicht. Wie lange, glaubst du, kann eine Frau diese Hölle durchmachen, ohne dabei kaputtzugehen? Seit du sie verlassen hast, schläft Malvina mit jedem Hund.«
Stephans Besuch, seine Aufforderung, zu Malvina zurückzukehren, und das Versprechen, er werde Auerbachs Nachfolger, zeigten ungeahnte Wirkung. Dabei hatte Stephan Malvina nie leiden können.
Als Bertram sich strikt weigerte, wurde er böse. Stephan argumentierte, er habe Malvina in einem Augenblick verlassen, wo sie von ihrem Vater im Stich gelassen wurde und alle Welt, nicht zuletzt wegen Bertram, gegen sich hatte.
Bertram habe all die Annehmlichkeiten seines Verhältnisses mit ihr genossen und sie ausgenützt; er habe erlaubt, daß sie sich für ihn opferte, er sei sogar noch weiter gegangen. Alles, was Malvina für ihn tat, habe er als eine Selbstverständlichkeit hingenommen. Das erste Mal, als sie auf seine Hilfe angewiesen war, dozierte Stephan, habe der große Bertram seine Stelle gekündigt und den Rückzug angetreten. Diese ungewöhnlich leidenschaftliche Äußerung beendete Stephan emphatisch: »Wovor fürchtest du dich?«
Das war die Zeit, wo Bertram seinen eigenen Gründen mißtraute.
Einen Tag darauf reiste Stephan ab. Bertrams Behauptung, er sei an Auerbachs Nachfolge nicht mehr interessiert, und er wolle zu Malvina nicht mehr zurück, hörte er sich ohne Kommentar an.
Ihr Abschied war kühl. Bertram begleitete ihn zum Bahnhof und unterdrückte ein schmerzliches Gefühl, als Stephans hagere Silhouette in einem menschenleeren Abteil verschwand. Vom Bahnhof fuhr Bertram in die Klinik zurück. Nach Stephans Besuch war er aufgewühlt, eine alte Wunde hatte sich wieder geöffnet. Der Gedanke, er habe sich eine große Chance entgehen lassen, verdroß ihn. Aber welche? Vorsicht, sagte er sich, die Hunde sind aufgewacht.
7
Erst wenn man reinen Tisch machen will, merkt man seine Abhängigkeit. Zunächst spürte Bertram eine Erleichterung. Doch sie war nur von kurzer Dauer. Bald überfielen ihn Erinnerungen und das Bedauern, an der Vergangenheit zu hängen. Er träumte wieder von Karen, ihr Gesicht war verschwommen und ähnelte sonderbarerweise Malvinas. Mit Bedauern dachte er an Elisabeth Kerckhoff und verspürte eine verspätete Reue, weil er sich die letzten Jahre kaum um sie gekümmert hatte. Er dachte an Stephan und sah ihre Freundschaft zum erstenmal ernsthaft gefährdet, dachte an seine frühere Klinik und an Holländers unaufhaltsamen Aufstieg.
Es ist im späten Frühjahr. Wenn er abends nicht zu spät aus der Klinik kommt, geht er mit der tschechischen Ärztin Hana Komarova in ein kleines Gartenrestaurant; ihr Tisch steht unter einem blühenden Kirschbaum. Die würzige Abendluft ist schwer vom Geruch der Erde.
Sie sprechen offen miteinander. Er erzählt ihr von Stephans Besuch, von Auerbachs Vorschlag, ihm seine Nachfolge zu sichern, und erwähnt am Rande Malvina.
Sie hört ihm zu, ihre Mandelaugen wirken bei dem flackernden Licht der Kerze undurchsichtig, und sie überlegt eine Weile, nachdem er seine Erzählung beendet hat. Dann versucht sie mit gezwungener Sachlichkeit ihn zu überzeugen, daß er unbedingt von hier fort muß. Er müsse seinen weiteren Weg an der Seite dieser unglücklichen Malvina Auerbach gehen, die ihn über alles liebe.
»Bist du verrückt?« fragt er erstaunt und kann die Zärtlichkeit in seiner Stimme nicht verbergen. Dann wird sein Gesicht verschlossen: »Sie ist für mich gestorben, ich
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