Der Chefarzt
Hektar großen Weiher abgefischt. Als Folge dieses Fischzuges gab es am Abend Fisch: Schleie oder Hecht blau als Vorspeise, Karpfen, gebacken auf fränkische Art, als Hauptgericht. Der Nachtisch bestand aus Palatschinken und fand, der Kalorien wegen, wenig Beifall. Es war eine kalorienbewußte Gesellschaft, die sich auf Professor Bertrams Einladung versammelt hatte. Statt dessen griffen die Gäste zu verschiedenen Käsesorten, anschließend gab es Kaffee und Cognac. Man ging früh zu Bett – etwas angetrunken vom jungen Landwein, den die Gäste zu hastig tranken, als man bekanntgab, daß es keinen langen Abend geben würde.
Am nächsten Morgen standen alle frisch und zeitig auf, und nach einem ausgiebigen Frühstück versammelte man sich im Hof.
Punkt zehn kündigten drei Jagdhornbläser auf ein Zeichen von Bertram, der sich zu ihnen stellte, die Rede des Jagdherrn an. Einige Augenblicke herrschte eine seltsame Stimmung, die nur von wenigen bewußt registriert wurde: Die versammelte Menschenmenge, das Stillstehen in Reih und Glied, das Hornsignal und die Gewehre erinnerten an kahle Kasernenhöfe und triste Exerzierplätze. Der Birkenweg und der Geruch der gedüngten Erde vervollständigten das Bild.
In der Stille rauschte der Wind in den welken Eichenblättern und der Jagdherr ließ korrekt verlauten, es dürfe auf Hasen, Fasanen, Rebhühner, Raubwild und Raubzeug geschossen werden. Malvina Bertram flüsterte Stephan Thimm, der groß und hager neben ihr auf einen langen Stock gestützt stand, zu: »Ich finde es fabelhaft, daß du gekommen bist, Stephan. Ich habe damit nicht gerechnet.« Malvina hatte ihr Haar unter einem mit Federn geschmückten Jägerhut versteckt, sie trug ihre Schrotflinte mit dem Lauf nach unten und links umgehängt. Sie ließ keinen Augenblick das Gesicht ihres Mannes aus den Augen. Bertram wirkte blaß und abgespannt.
»Ich kann Schießen nicht ausstehen«, brummte Stephan. »Ich will es bei meiner beruflichen Bindung an den Tod belassen. Ich gehöre nicht hierher, dafür bin ich nicht fein genug.«
Thimm sprach laut und unbekümmert und erntete mißbilligende Blicke. In der Stille wurden seine Worte von allen deutlich vernommen.
Thimm wollte sich auf die Suche nach Pfifferlingen begeben, sobald sich die Gesellschaft der Treibjagd zuwandte. Zu diesem Zweck hatte er sich vom Wirt einen Korb und ein Messer geliehen. Einen ihm von Bertram angebotenen Ortskundigen lehnte er strikt ab.
Thimm berührte Malvina, die immer noch zu ihrem Mann sah. »Was ist mit ihm los?«
Sie antwortete nachdenklich: »Merkwürdig, daß wir uns beide diese Frage gleichzeitig stellen. Ich glaube, es ist die bedauerliche Geschichte mit dem Italiener. Es ist ihm nahegegangen.«
Sie suchte fragend seinen Blick, aber er war mit seinen Gedanken weiter und meinte: »Johannes ringt mit sich.«
Man blies zum Aufbruch, und die ganze Gesellschaft setzte sich in Bewegung, von Hundegebell begleitet.
Thimm ging in die entgegengesetzte Richtung und unterdrückte seine Enttäuschung. Er war hierhergekommen in der Hoffnung, sich mit Bertram aussprechen zu können. Es ging um eine Sache, die er ungern mit ihm in der Universität besprechen wollte. Seine Hoffnung wurde enttäuscht, weil er die Jagdsitten nicht kannte und sich eine idyllische Waldruhe vorgestellt hatte.
Mit seinen Gedanken beschäftigt, drang er tief in den jungen Nadelholzwald ein. Unvermittelt blieb er stehen. Neben einem Baum sah er einen großen Steinpilz und keine zwei Meter weiter einen zweiten. Bald bereitete ihm die Sache Spaß, der Korb füllte sich, und er vergaß seine Gedanken. Er ging mit langen Schritten und bückte sich oft, er ähnelte in diesem Augenblick einem alten Storch. Bald fielen die ersten Schüsse, er beachtete sie nicht. Wenn der Hase, von einer Schrotladung getroffen, nicht gleich tot ist, gehört es zur Aufgabe des Treibers, ihn zu töten. Mit seinem Stock schlägt er ihn hinter die Löffel, dann drückt er zwischen seine Hinterläufe, um ihn zu entnässen.
3
Nichts in Lisas Lebenserfahrung hätte sie befähigt, die Tiefe der Einsamkeit angesichts einer hoffnungslosen, ja vielleicht tödlichen Erkrankung zu ergründen. Endlich wurde ihre Untersuchung abgeschlossen, nur herrschte über den Tumor nach wie vor Unklarheit. Als letztes blieb die Operation. Um grünes Licht für sie zu bekommen, wartete Fritsch auf die Visite des Klinikchefs.
Jedesmal, wenn Fritsch zu ihr kam, bemerkte Lisa eine Veränderung in seinem Verhalten: Bis
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