Der Chinese
juristischen Wert hätten…«
Doch wer kam zum Tore herein? Elegant, in einem auf Taille geschnittenen Wintermantel? Herr Statthalter Ochsenbein, gefolgt von einem uniformierten Landjäger. Der Säbelgriff des Polizisten war auf Hochglanz poliert.
»Was… ist… das?«
»Ihr habt mir telephonieren lassen, Wachtmeister?« fragte Ochsenbein. Er hob den steifen Hut vom Kopfe und grüßte in die Runde.
»Ich wiederhole meinen Vorschlag«, sagte Studer, »wir begeben uns in das Arbeitszimmer des Herrn Hungerlott zurück. Die Herren werden mir dann erlauben, etwas zu erzählen. Ich verzichte auf jegliches Geständnis. – Murmann, du passest auf den Vater Äbi auf!«
Wieder ließ Studer die Herren vorausgehen, vor ihm schritt majestätisch Fahnderkorporal Murmann. Studer beschloß den Zug, Ludwig Farny wich nicht von seiner Seite.
Zuerst gab es ein Durcheinander: Stühle mußten herbeigeschafft werden, es dauerte eine Weile, bis alle Amtspersonen saßen. Für den Notar Münch hatte man den bequemsten Lehnstuhl ausgesucht, ein Hockerli davorgestellt, es mit Kissen bedeckt und die Beine des Verwundeten daraufgebettet. Es muß zugegeben werden, daß der Notar nicht ein übermäßig intelligentes Gesicht machte.
Studer sagte: »Erzähl jetzt bitte, Münch. Ich kenn die Geschichte, jetzt mußt du sie den anderen kund und zu wissen tun.«
Und der Notar begann zu sprechen. Sein Gesicht wachte auf. Er fing an von seiner Bekanntschaft mit jenem merkwürdigen Auslandschweizer zu erzählen, von dem Testament, das dieser aufgesetzt habe – und schon damals, bei der ersten Zusammenkunft, habe er den Eindruck gehabt, der ›Chinese‹ (dieser Übername stamme von seinem Freunde Studer) fürchte sich, ermordet zu werden. Fürchte… das sei übertrieben. Angst hat der Mann keine gehabt, im Gegenteil. Er war tapfer. Nur – er wollte nicht, daß sein Vermögen Leuten zufalle, die es nicht verdienten. Wäre er ohne Testament gestorben, so hätte seine Familie geerbt. Gegen seine Verwandten hatte der Farny nichts – aber seine Schwester sowohl als auch seine Nichte waren verheiratet. Die beiden Gatten gefielen ihm nicht.
»Wart einen Moment, Münch!« unterbrach Studer. »Es wäre gut, wenn Reinhard den einen Gatten durchsuchen würde. Los!«
Vater Äbi wehrte sich, aber es nützte ihm nicht viel. Studer brauchte nicht einzugreifen. In der Hintertasche der Hose steckte eine kleine Pistole. Der Wachtmeister nahm sie in die Hand. »Sechs fünfunddreißig«, nickte er. Dann klappte er den Kolben auf – im Magazin fehlten zwei Kugeln. Als er die Waffe öffnete, fiel oben eine ungebrauchte Patrone heraus. »Eine Kugel ist also abgeschossen worden«, sagte Studer und blickte nicht auf. »Weiter, Münch!«
»Mit der Zeit gelang es dem einen Gatten, sich beliebt zu machen. Als seine Frau starb, konnte er meinen Klienten überzeugen, ihm den Anteil, der seiner Frau zufallen sollte, zuzusprechen – aber der Witwer mußte sich verpflichten, die Hälfte des Anteils einem Freunde des nun Verstorbenen zu übergeben. James Farny wollte dies geheim halten, aber er erzählte gerne. An einem Abend erzählte er diese Änderung des Testamentes dem Freunde – wahrscheinlich drüben im Gastzimmer der Wirtschaft, der Wirt hörte dies und gab die Neuigkeit weiter an den Witwer. Wir nehmen an, daß der Witwer Lärm geschlagen hat – wahrscheinlich war er wütend, daß er um das Geld kommen sollte, obwohl er zu diesem Zwecke ein Verbrechen begangen hatte. Und, so nehmen wir an, James Farny durchschaute den Mann. Wieder glaubte er, für sein Leben fürchten zu müssen. Darum schrieb er mir und bestellte mich auf den 18. November, um 10 Uhr früh. Als ich in Pfründisberg ankam, war Farny tot. Kurz nach meiner Ankunft tauchte ein Fahnder auf – ich ging ihm aus dem Wege, denn plötzlich schien es mir, als hänge der Tod meines Klienten mit dem Tode seiner Nichte zusammen. Darum besuchte ich den Witwer, ließ mich von ihm einladen – in der Nacht schon hatte ich den Beweis, daß ich auf dem richtigen Wege war. Jemand schlich in mein Zimmer, durchsuchte meine Kleider – zum Glück hatte ich vorsichtshalber meine Brieftasche unter meinem Kopfkissen versteckt. Den ganzen folgenden Tag ließ mich der Mann nicht aus den Augen – doch in der folgenden Nacht gelang es mir, meinen Freund Studer zu besuchen. Mit ihm sprach ich über die ganze Angelegenheit – und wir kamen zu einem Schluß. Doch ich gelangte nicht mehr in mein Zimmer zurück. Ich wollte
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