Der Chinese
Anstalt, unsere Bäcker desgleichen. – Moser, schöpf einen Teller Suppe, damit die Herren probieren können!…« Der Blechteller war mit Schmirgelpapier geputzt worden. Fettaugen schwammen auf der dicken Erbsensuppe.
»Wunderbar!« sagte ein Schreiber in tiefstem Baß und versuchte die Suppe. »Ich wär' froh, wenn meine Frau mir jeden Tag solche Suppe kochen würde!«
»Wollen Sie nicht auch probieren, Herr Wachtmeister?« fragte Hungerlott lächelnd. Studer dankte.
Er dachte an den Schnaps, den die Armenhäusler holen gingen am Samstagabend, mit dem Fränkli, das sie für die Arbeit einer Woche erhalten hatten. Ihm war übel.
Die Herren verließen die Küche.
»Ich werde Ihnen jetzt«, sagte Hungerlott, »die Schlafsäle der Insassen zeigen, hernach können wir, wenn es den Herren recht ist, die Werkstätten besichtigen, die Gärtnerei, den landwirtschaftlichen Betrieb…«
Keiner der Herren hörte die Bemerkung des einen Koches, nur Studer fing sie auf, weil er als letzter ging. Der Koch sagte zu seinem Kameraden: »Lueg… Und es wäre alles nicht so schlimm, wenn nicht so verdammt viel gelogen würde; schließlich, in der Küche sei es noch zum Aushalten, aber die anderen, die einen ganzen Morgen mit einer Gamelle dünnen Kaffees und drei Härdöpfeln werken müßten – für die sei es schlimm!«
Der Hof war leer, die Bise pfiff. In einer Ecke stand 's Trili–Müetti vor ihrem Zuber und wusch, und wusch… Die Lippen waren gesprungen, die Alte sang nicht, ein böser Husten zerriß manchmal ihre Brust. Als sie den Wachtmeister erblickte, winkte sie ihm zu, und als er nahe bei ihr stand, fragte sie: »Was hesch du mit mym Hansli ta?«
Der Wachtmeister hob seine Achseln, es war ihm, als stecke ihm eine große Kugel im Hals, die ihn am Sprechen hinderte…
Unter dem Dach eines Schopfes waren vier Alte mit Holzspalten beschäftigt…
»Das Gegengift gegen den Pauperismus«, dozierte Herr Hungerlott, »Ist Arbeit, Arbeit, Arbeit. Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. Selbst für den Ältesten, selbst für den Schwächsten finde ich immer noch eine Beschäftigung, die er imstande ist auszuführen… So fühlt er sich nicht nutzlos und hat den Eindruck, sein Essen zu verdienen, sein Taschengeld als Lohn zu erhalten und nicht als Almosen… Ich möchte hiermit der Armendirektion für die Einsicht danken, die sie stets bewiesen hat; durch diese Einsicht ist es mir ermöglicht worden, meine schwere Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen zu erledigen und manchen Entgleisten wieder auf den rechten Weg zu führen! Ich weiß, daß ich viele Neider habe (ein giftiger Blick traf den Wachtmeister), aber allen Anfechtungen zum Trotz tue ich meine Pflicht und…«
Herr Hungerlott verstummte und blickte nach der Hoftür. Die Herren, die seiner Rede mit über dem Bauch gefalteten Händen gefolgt waren – und die brennenden Stumpen hingen in ihren Mundwinkeln –, rieben sich die Augen, als auch sie nach dem Hoftor sahen…
Ein Notar erscheint
Den rechten Arm um Ludwig Farnys Schulter gelegt, den linken Arm um die des Gefreiten Reinhard, wankte der Notar Münch durchs Hoftor. Sein Mantel war zerrissen, auf der Stirne hatte er eine Beule und zwei blutige Taschentücher waren um seinen Hals geschlungen. Studer ging ihm entgegen.
»Salü, Münch«, sagte er ruhig.
»Salü, Studer«, kam es heiser zurück.
– Ob er nicht abliegen wolle, fragte der Wachtmeister. Der Notar schüttelte müde den Kopf: – Er sehe dort den Hauptmann der Kantonspolizei, das werde wohl der geeignete Mann sein, dem man eine Aussage machen könne…
»Aber nicht hier«, sagte Studer, »du mußt an die Wärme.« Münch nickte.
Hinter sich hörte Studer plötzlich eine bekannte Stimme rufen: »Halt!« Als er sich umwandte, mußte er lächeln. Das Bild, das er sah, ähnelte so sehr der Aufnahme eines amerikanischen Gangsterfilms, daß man es nicht ernst nehmen konnte. Fahnderkorporal Murmann hielt einen Revolver in der Hand und ließ den Vater Äbi nicht aus den Augen.
»Soll ich ihn fesseln, Wachtmeister?« fragte er.
Studer lachte. Es war ein befreites Lachen. Am meisten belustigten ihn die Gesichter der Herren, die gekommen waren, eine Armenanstalt zu inspizieren.
Hausvater Hungerlott sagte mit spitzer Stimme:
»Ich protestiere! Gerichtliche Untersuchungen werden nicht auf diese Art geführt. Ein Fahnderwachtmeister und der Polizeihauptmann sind nicht berechtigt, Aussagen aufzunehmen – ich meine Aussagen, die einen
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