Der Chinese
er der Repräsentant eines neuen China, mit dem weder Hong noch Ma Li oder ich oder - was das betrifft - San uns anfreunden können. In unserem Land spielen sich schwere Auseinandersetzungen über die zukünftige Entwicklung ab. Wie sie aussehen soll. Niemand weiß, wie sie ausgehen, noch ist nichts entschieden. Man kann nur das tun, was man für richtig hält.«
»Wie Ya Ru töten?«
»Es war notwendig.«
Birgitta Roslin ging in die Küche und trank ein Glas Wasser. Als sie das Glas abstellte, wusste sie, dass sie jetzt nach Hause fahren musste. Alles, was noch unklar war, musste warten. Jetzt wollte sie nach Hause. Weg aus London und von dem, was geschehen war.
Ho begleitete sie im Taxi nach Heathrow. Nach vierstündiger Wartezeit konnte sie endlich nach Kopenhagen fliegen. Ho wollte bis zum Abflug der Maschine bleiben, aber Birgitta Roslin bat sie zu gehen.
Als sie in Helsingborg angekommen war, öffnete sie eine Flasche Wein und leerte sie im Lauf der Nacht. Am Tag danach schlief sie. Sie erwachte davon, dass Staffan anrief und erzählte, dass ihr Segeltörn beendet war. Ohne sich beherrschen zu können, begann sie zu weinen.
»Was ist los? Ist etwas passiert?«
»Es ist nichts passiert. Ich bin nur müde.«
»Sollen wir nach Hause kommen?«
»Nein. Es ist nichts. Wenn du mir helfen willst, dann glaube mir, wenn ich sage, dass nichts ist. Erzähl von eurem Segeltörn.«
Sie redeten lange miteinander. Sie bestand darauf, dass er in allen Einzelheiten von ihrem Segeltörn und von den Plänen für den Abend und den nächsten Tag berichtete. Als sie schließlich auflegte, hatte sie ihn beruhigt.
Sie hatte auch sich selbst beruhigt.
Am Tag darauf ging sie zur Arbeit und erklärte, sie sei wieder gesund. Am selben Tag rief sie Ho an.
»Ich werde bald vieles zu erzählen haben«, sagte Ho. »Ich versprechen Ihnen, dass ich zuhören werde. Wie geht es San?« »Er ist aufgewühlt, er hat Angst, und er trauert um seine Mutter. Aber er ist stark.« Nach dem Gespräch blieb Birgitta Roslin am Küchentisch sitzen.
Sie schloss die Augen.
Das Bild des Mannes, der über dem Tisch im Speisesaal zusammengesunken war, begann langsam zu verblassen. Wenige Tage vor Mittsommer hielt Birgitta Roslin ihre letzte Gerichtsverhandlung vor dem Beginn der Sommerferien ab. Staffan und sie hatten eine Hütte auf Bornholm gemietet. Sie wollten drei Wochen dort bleiben, und die Kinder würden sie nacheinander besuchen. Sie hatte, den Fall, an dem sie arbeitete, in den nächsten zwei Tagen verhandeln und abschließen können. Es ging um drei Frauen und einen Mann, die Wegelagerei betrieben hatten. Zwei der Frauen kamen aus Rumänien, die dritte Frau und der Mann waren Schweden. Birgitta Roslin war von der Brutalität erschüttert, mit der besonders die jüngste Frau vorgegangen war, als sie auf nächtlichen Parkplätzen Wohnmobile überfallen hatten. Einem der Überfallenen, einem älteren Mann aus Deutschland, hatte sie mit einem Hammer einen so harten Schlag auf den Kopf versetzt, dass er einen Schädelbruch erlitten hatte, der tödlich hätte sein können. Bei einem zweiten Überfall hatte sie einer Frau mit einem Schraubenzieher eine Wunde nur wenige Millimeter oberhalb des Herzens zugefügt.
Staatsanwalt Palm bezeichnete die Bande als »Unternehmer, die in verschiedenen Nischen des kriminellen Erwerbslebens tätig waren«. Außer dass sie in den Nächten Parkplätze zwischen Helsingborg und Varberg heimgesucht hatten, wurden ihnen noch zahlreiche Diebstähle zur Last gelegt, vor allem in Bekleidungsgeschäften und Läden für elektronische Geräte. Mit präparierten Taschen, aus denen das Futter herausgerissen und durch Metallfolie ersetzt worden war, so dass die Sicherheitschips keinen Alarm auslösten, wenn sie den Ausgang passierten, hatten sie Diebstähle für fast eine Million Kronen begangen, bevor sie geschnappt werden konnten. Sie hatten den Fehler gemacht, in Halmstad zweimal in dasselbe Bekleidungsgeschäft zu gehen, und waren vom Personal erkannt worden. Alle hatten gestanden, die Beweise und das Diebesgut waren sichergestellt. Zum Erstaunen der Polizei, und Birgitta Roslin teilte dieses Erstaunen, hatten sie sich nicht gegenseitig beschuldigt, als es um den Anteil an den Verbrechen ging.
Es war regnerisch und kühl, als sie am Morgen ins Amtsgericht ging. Immer morgens quälten sie noch die Ereignisse, die in jenem Hotel in London ihren Höhepunkt
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