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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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hinter sich. Als er sich umdrehte, stand ein weißer Mann da, mit Haaren bis zu den Schultern und einem Schal, der um das Gesicht gewickelt war, so dass er wie ein maskierter Bandit aussah. In der Hand hielt er ein Gewehr. Er trug einen Pelz, und von seinem mit Fell gefütterten Hut hing ein Fuchsschwanz herab. Seine Augen erinnerten San an die Augen von Zi.
     
    Plötzlich hob der weiße Mann das Gewehr und gab einen Schuss ins Dunkel ab. Die Männer, die sich am Feuer wärmten, krochen dichter zusammen.
     
    »Aufstehen«, rief Xu. »Nehmt eure Kopfbedeckung ab.« San sah ihn erstaunt an. Sie sollten ihre Mützen abnehmen, die sie mit Gras und Lumpen gefüttert hatten? »Herunter damit«, schrie Xu, der vor dem Mann mit dem Gewehr Angst zu haben schien. »Keine Mützen.«
     
    San nahm seine Mütze ab und nickte Guo Si zu, es auch zu tun. Der Mann mit dem Gewehr zog den Schal vor seinem Gesicht herunter. Er hatte einen dicken Schnurrbart unter der Nase. Obwohl er mehrere Meter entfernt war, merkte San, dass er nach Schnaps roch. Sofort war er auf der Hut. Weiße Männer, die nach Schnaps rochen, waren noch unberechenbarer als die nüchternen.
     
    Der Mann begann mit schriller Stimme zu sprechen. Es klang, als stünde eine wütende Frau vor ihnen. Xu bemühte sich zu übersetzen, was der Mann sagte. »Ihr habt die Mützen abgenommen, damit ihr besser zuhört.« Seine Stimme war fast so schrill wie die des Mannes mit dem Gewehr. »Eure Ohren sind voll Dreck, ihr würdet sonst nichts hören«, fuhr Xu fort.
     
    »Ich heiße JA. Aber ihr nennt mich Boss. Wenn ich euch anspreche, nehmt ihr eure Mützen ab. Ihr antwortet mir, stellt aber selbst keine Fragen. Habt ihr verstanden?« San murmelte etwas im Chor mit den anderen. Es war deutlich, dass der Mann vor ihnen Chinesen nicht leiden konnte. Der Mann, der sich JA nannte, brüllte weiter. »Vor euch habt ihr eine Mauer aus Felsen. Ihr werdet dieses Gebirge in zwei Hälften spalten, damit die Eisenbahn hindurchfahren kann. Ihr seid auserwählt, weil ihr bewiesen habt, dass ihr hart arbeiten könnt. Hier taugen weder die verdammten Nigger noch die versoffenen Iren. Das hier ist ein Gebirge für Chinesen. Deshalb seid ihr hier. Und ich bin hier, um darauf zu achten, dass ihr tut, was ihr tun sollt. Wer nicht seine ganze Kraft einsetzt und faul ist, wird den Tag verfluchen, an dem er geboren wurde. Habt ihr verstanden? Ich will, dass ihr einzeln antwortet. Danach könnt ihr eure Mützen wieder aufsetzen. Die Hacken holt ihr euch bei Brown ab. Brown dreht durch, wenn Vollmond ist, dann frisst er rohe Chinesen. Sonst ist er bescheiden wie ein Lamm.«
     
    Alle antworteten, jeder mit einem Murmeln.
     
    Es wurde gerade hell, als sie mit ihren Hacken vor der Felswand standen, die sich fast senkrecht vor ihnen erhob. JA übergab sein Gewehr für einen Moment an Brown, nahm sich eine Hacke und schlug zwei Markierungen unten in die Felswand. San sah, dass die Öffnung, die sie aushauen sollten, fast acht Meter breit war.
     
    Nirgends konnte er herabgefallene Felsbrocken oder Geröllhaufen entdecken. Der Berg würde harten Widerstand bieten. Jeder Steinsplitter, den sie herausschlugen, würde sie Anstrengungen kosten, die mit nichts zu vergleichen waren, was sie bisher geleistet hatten.
     
    Hatten sie die Götter herausgefordert, die sie vor diese Prüfung stellten? Sie mussten sich durch die Felswand hauen, um aus den verachteten Chinks in der amerikanischen Wüste zu freien Männern zu werden.
     
    San befiel eine hoffnungslose Verzweiflung. Das Einzige, was ihn jetzt aufrechterhielt, war der Gedanke, dass Guo Si und er eines Tages fliehen würden.
     
    Er versuchte sich vorzustellen, dass der Berg eigentlich eine Wand war, die sie von China trennte. Nur ein paar Meter weiter drinnen würde die Kälte aufhören. Dort blühten die Kirschbäume.
     
    An diesem Morgen begannen sie, den harten Felsen zu bearbeiten. Ihr neuer Vorarbeiter bewachte sie wie ein Raubvogel. Auch wenn er ihnen den Rücken zukehrte, schien er sehen zu können, ob jemand für einen Moment die Hacke ruhen ließ. Seine Fäuste hatte er mit Riemen umwickelt, die demjenigen, der einen Fehler begangen hatte, die Haut im Gesicht zerfetzten. Schon nach wenigen Tagen wurde dieser Mann, der immer sein Gewehr bei sich hatte und nie ein freundliches Wort sagte, von allen gehasst. Sie begannen davon zu träumen, ihn zu töten. San überlegte, in welchem Verhältnis JA zu Wang stand. War er Wangs Eigentum, oder war es

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