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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Wunsch hierherzukommen.«
     
    San dachte, der Mann, der vor ihnen stand, würde nicht dulden, mit so harten Worten angesprochen zu werden. Jetzt würde er die Waffe ziehen, die er in einem Gürtel an der Hüfte trug, und sie niederschießen.
     
    Aber San irrte sich.
     
    Wang brach in Gelächter aus, als hätte Guo Si etwas Witziges gesagt. »Ihr seid nichts als Hunde«, sagte er. »Zi hat mir ein paar sprechende Hunde geschickt. Ihr seid mein Eigentum, bis ihr mir die Überfahrt und das Essen und die Reise von San Francisco hierher mit eurer Arbeit bezahlt habt. In drei Jahren könnt ihr tun, was ihr wollt. Aber bis dahin gehört ihr mir. Hier draußen in der Wüste könnt ihr nicht fliehen. Es gibt Wölfe, Bären und Indianer, die euch die Kehle durchschneiden, eure Schädel zertrümmern und eure Gehirne ausschlürfen wie Eier. Solltet ihr trotzdem versuchen zu fliehen, dann habe ich ein paar gute Hunde, die euch aufspüren werden. Dann wird die Peitsche tanzen, und ihr werdet ein Jahr länger für mich arbeiten dürfen. Jetzt wisst ihr, was euch erwartet.«
     
    San betrachtete die Männer, die hinter Wang standen. Sie hielten Hunde an Koppeln und hatten Gewehre in den Händen. San wunderte sich, dass diese weißen Männer mit ihren großen Bärten bereit waren, den Befehlen eines Chinesen zu gehorchen. Es war wirklich ein seltsames Land, in das sie gekommen waren.
     
    Sie wurden in einem Zeltlager tief am Grunde einer Schlucht untergebracht, durch die ein Bach floss. Auf der einen Seite des Bachbetts befanden sich die chinesischen Eisenbahnarbeiter, auf der anderen Iren und andere Europäer. Das Bachbett markierte eine Grenzlinie, die die Chinesen nicht unnötig überschritten. Die Iren, die oft betrunken waren, brüllten Schimpfworte und warfen mit Steinen nach der chinesischen Seite. San und Guo Si verstanden nicht, was sie riefen. Aber die Steine, die durch die Luft flogen, waren hart. Es gab keinen Grund zu glauben, dass es sich mit den Wörtern anders verhielt.
     
    Sie wohnten mit zwölf anderen Chinesen zusammen. Keiner von ihnen war auf ihrem Schiff gewesen. San vermutete, dass Wang es vorzog, die Neuankömmlinge mit solchen zusammenzutun, die schon länger beim Eisenbahnbau waren und sie einweisen konnten.
     
    Im Zelt war es eng. Wenn sich alle hingelegt hatten, lagen sie dicht beieinander. Das half, die Wärme zu halten, rief aber auch das lähmende Gefühl hervor, sich nicht bewegen zu können.
     
    Im Zelt hatte ein Mann namens Xu das Sagen. Er war mager, hatte schlechte Zähne, wurde aber mit großem Respekt behandelt. Xu wies San und Guo Si ihre Schlafplätze zu. Er fragte sie, woher sie stammten, mit welchem Schiff sie gekommen waren, erzählte aber nichts von sich selbst. Neben San lag ein Mann namens Hao, der ihm erzählte, Xu sei schon seit den Anfängen vor mehreren Jahren beim Eisenbahnbau. Er sei schon Anfang der 1850er Jahre nach Amerika gekommen und habe zuerst in den Goldgruben gearbeitet. Gerüchten zufolge habe er beim Goldwaschen in den Flüssen kein Glück gehabt. Stattdessen habe er sich einen alten Holzschuppen gekauft, der einigen erfolgreichen Goldsuchern als Zuflucht diente. Niemand verstand, warum Xu so dumm war, fünfundzwanzig Dollar für ein Haus zu bezahlen, in dem niemand wohnen konnte. Aber Xu hatte all den Staub vom Boden sorgfältig zusammengefegt. Dann hatte er die rissigen Dielenbretter hochgenommen und die Erde unter dem Haus zusammengefegt. Schließlich hatte er so viel von dem Goldstaub besessen, dass er mit einem kleineren Vermögen nach San Francisco zurückkehren konnte. Er hatte sich entschlossen, nach Kanton zurückzukehren, und hatte schon die Fahrkarte für ein Dampfschiff gekauft. Aber während der Wartezeit hatte er die vielen Spielhallen aufgesucht, in denen die Chinesen so viel Zeit verbrachten. Er hatte gespielt und verloren. Schließlich hatte er seine Fahrkarte verspielt. Dann hatte er die Central Union Pacific kennengelernt und war als einer der ersten Chinesen angestellt worden.
     
    All das wusste Hao zu berichten. Wie er es erfahren hatte, ohne dass Xu selbst etwas erzählt hatte, war nicht aus ihm herauszubekommen. Aber Hao bestand darauf, dass jedes Wort wahr sei.
     
    Xu sprach Englisch. Von ihm erfuhren die Brüder, was über den Bach gebrüllt wurde, der die beiden Zeltlager trennte. Xu sprach verächtlich von den Männern auf der anderen Seite. »Sie nennen uns Chinks«, sagte er. »Das ist nur eine herabsetzende Bezeichnung für uns. Wenn

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