Der Chirurg von Campodios
Gesinde is auch schon verblüht, über alle Berge, ham die Hosen voll, die Fieseln, un in Worthing ham sie zwei Schmuhls un ihre Schicksen gekeilt.«
»Zwei Juden?« Der Magister, der gerade einen dritten Bissen nehmen wollte, blickte erstaunt. »Was haben denn die damit zu schaffen, dass hier ein Pestfall vorliegt?«
»Wui, ’s Pack tönt, sie ham’s Wasser vergimpelt, ’s gäb keinen guten Gänsewein aus der Täufe nich mehr, und ’s wär der Grund für die Pest.«
»Die Juden sollen das Brunnenwasser in Worthing vergiftet haben? Beim Blute Christi! Was hätten sie davon, wo sie doch selber dort wohnen! Und überhaupt: Deshalb soll hier auf Greenvale Castle die Pest aufgetreten sein? So ein hirnverbrannter Blödsinn!« Der Magister war drauf und dran, sich mächtig aufzuregen, als plötzlich die Tür zum Krankenzimmer aufging und Vitus auf der Schwelle erschien. Er war kaum bekleidet und sah übernächtigt aus.
»Magister, ich brauche noch einmal neues Bettzeug. Und eine Schüssel Wasser; wenn es geht, recht kalt. Und frische Suppe, die aber heiß. Und etwas Fleisch mit wenig Fett, am besten Geflügel.«
»Sonst noch etwas?« Der kleine Gelehrte klang bissiger, als er eigentlich beabsichtigt hatte. »Entschuldige, es war nicht so gemeint. Wir sind wohl alle etwas durcheinander. Wie geht es Arlette?«
Vitus musterte ihn, und seine Augen waren wie tot. »Bitte besorge mir danach noch eine Flasche mit Salbeiöl, das Öl muss zusätzlich Kampfer und Thuja enthalten.« Die Tür schloss sich wieder.
Der Zwerg kratzte sich die Haarbüschel am Kopf. »Wui, wui, das sieht nich gut aus. Das sieht nich gut aus.«
»Ich fürchte, du hast Recht, Enano. Aber wir können gar nichts machen, gar nichts. Nur tun, was Vitus sagt. Allmächtiger Vater im Himmel, irgendwie muss der verfluchten Pest doch beizukommen sein! Also gut, gehen wir erst einmal, um Vitus’ Aufträge zu erledigen. Hilfst du mir, Winzling?«
»Nee, muss was anderes machen, ’s is genauso wichtig.«
Hüpfend entfernte sich der Zwerg, und der Magister fragte sich, was um alles in der Welt in diesem Augenblick genauso wichtig sein konnte wie Vitus’ Wünsche.
»Es ist doch erst der dritte Tag nach dem Ausbruch des Fiebers, Liebste«, flüsterte er heiser, »du musst durchhalten, hörst du, morgen geht es dir bestimmt besser, ich verspreche es dir.«
Sie lag in seiner Halsbeuge und weinte lautlos. Ihre Schultern zuckten. Ein hilfloses Bündel Mensch, mal heiß, mal kalt und schwach bis auf den Tod. Dazu kam der Gestank, den ihr absterbender Körper mehr und mehr verströmte. Zu den Beulen in der Leiste waren noch weitere am Hals gekommen. Vitus hatte sie schon in der Nacht bemerkt, als er Arlette mit seinem Körper gewärmt und wieder und wieder ihr Gesicht gestreichelt hatte.
Am Morgen hatte er die Bubonen in der Leiste aufgestochen und den Eiter herausgedrückt, eine Ekel erregende, gelblich pastöse Flüssigkeit. Anschließend hatte er die Beulen mit Salbeiöl behandelt und danach mit dem durch Silber veredelten Alkohol abgerieben, in der Hoffnung, dass die Beulen verkümmern würden. Aber der Eiter floss weiter, und nichts hatte sich getan. Nichts, nichts, nichts …
Zwei der Bubonen, die er probehalber mit getrockneten Rosenblättern belegt hatte, wiesen ebenfalls keine Besserung auf. Er nahm die Blätter fort und ließ sie, verzweifelt wie er war, einfach auf den Boden fallen.
Der Theriak, den Burns, der alte Dorfarzt, gebracht hatte, war ihr nicht einzuflößen gewesen. Er hatte auf sie eingeredet, hatte gebettelt, gedroht, gefleht, aber sie war standhaft geblieben. Eine Arznei, in der sich Schlangenfleisch befand, ging ihr nicht über die Lippen.
»Das Kind und ich, wir werden sterben«, hörte er sie flüstern.
»Unsinn! So schnell stirbt es sich nicht!«, begehrte er auf.
»Doch …« Mit großer Anstrengung legte sie den Finger in sein Grübchen. »Mir ist kalt, so kalt! Ich habe die … Pest. Ich wusste es … schon, als du die Bubonen entdecktest …«
»Aber, aber …«
»Das Kind und ich, wir sterben … aber du musst leben … versprich es mir. Bekämpfe die Pest … versprich es mir.«
»Ich verspreche es, bei allem, was mir heilig ist! Ich verspreche es!« Seine Gedanken rasten. Es durfte, es konnte nicht sein, dass Arlette starb!
»Allmächtiger Vater im Himmel,
in Deine Hände lege ich mein Hoffen,
gib, dass sie gesund wird,
erlöse sie von der Pest!
Allmächtiger Vater im Himmel,
Herrscher über alles
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