Der Cop und die Lady
Sie hatte dagelegen wie eine zerbrochene Puppe - eine von diesen altmodischen Puppen aus Porzellan …
Ungeduldig schüttelte er den Kopf, um dieses seltsam unpassende Bild zu vertreiben. Er hatte in all den Jahren bei der Polizei schon viel zuviel gesehen, um sentimental zu werden. Und dennoch, weder hatte sie wie ein Strichmädchen ausgesehen noch wie eine dieser Karrierefrauen, die ab und zu auf der Suche nach Drogen oder ausgefallenen Vergnügungen in diese finstere Gegend kamen. Was hatte sie hier gesucht? Sein Gefühl sagte ihm, dass irgend etwas nicht ins Bild passte.
Gefühl? fragte eine innere Stimme mit höhnischem Auflachen. Erinnere dich daran, was passiert ist, als du das letzte Mal auf dein Gefühl gehört hast. Novalis verdrängte diesen Gedanken, so rasch er konnte. Er bemerkte, dass er plötzlich die Kiefer hart aufeinanderpreßte und die Hände zu Fäusten ballte. Er zwang sich, tief Luft zu holen, wobei er sich fragte, ob Simms etwas bemerkt hatte.
Womöglich war Novalis’ privater Alptraum sogar ihm schon zu Ohren gekommen. Alle wussten davon, und keiner sprach darüber - zumindest nicht, solange er in Hörweite war. Er forschte in Simms’ Gesicht, aber alles, was er fand, war gespannte Aufmerksamkeit.
„Ich fahre ins Krankenhaus”, entschied er. „Rufen Sie mich wegen der Aussagen an.” Er schlug Simms auf die Schulter und kletterte müde hinters Steuer. Als er den Schlüssel ins Zündschloss steckte, bemerkte er auf seinem Handrücken einen dunklen Fleck. Ihr Blut.
Als sie das nächstemal aufwachte, wurde ihr klar, dass sie sich in einem Krankenzimmer befand. Der Geruch nach Desinfektionsmitteln, das Echo der Schritte, die auf dem langen Flur hallten, und die weißen Wände ließen keine andere Vermutung zu als die, dass sie im Krankenhaus war. Sie hatte keine Angst.
Ihr Körper fühlte sich warm und schwerelos an, fast als wäre sie von Kopf bis Fuß in Watte verpackt. Eine Frau in Schwesterntracht breitete ein weißes Laken über sie. Ihr fiel auf, dass sie einen Verlobungsring trug. Schöner Stein, registrierte sie flüchtig. Zwar nicht mal ein Karat und auch nicht besonders gut geschliffen, doch die Farbe ist gut…
„Ah, Sie sind ja aufgewacht”, hörte sie eine männliche Stimme. Ein Arzt in einem weißen Kittel beugte sich über sie. „Wie fühlen Sie sich?” Das Bett bewegte sich, sie merkte, wie sich der Kopfteil langsam hob und sie in eine halb sitzende Position brachte. Plötzlich fühlte sie, wie ihre Sinne zum Leben erwachten und ihre Haut anfing zu prickeln. Sie spürte Blicke, jedoch nicht die des Arztes, auf sich ruhen. Als sie den Kopf wandte, sah sie, dass sich noch eine vierte Person im Zimmer befand.
Der Mann saß unauffällig in einer Ecke hinter ihrem Kopfende. Über einem zerknitterten blauen T-Shirt trug er eine abgewetzte braune Fliegerjacke aus Leder, und seine langen, schlanken Beine steckten in ausgewaschenen Jeans. Sein ungebändigtes schwarzes Haar war so lang, dass es ihm über den Jackenkragen fiel; wie ein Arzt sah er auf jeden Fall nicht aus. Im Moment hatte er seine dichten schwarzen Augenbrauen so eng zusammengezogen, dass sie fast ein V bildeten.
Voller Ungeduld schien er darauf zu warten, dass sie langsam die Traumwelt, irr die sie eingesponnen gewesen war, abzustreifen begann. Von seinen Blicken wurde ihr unerwarteterweise ganz warm. Allem Anschein nach wartete er auf irgend etwas. Dieser Gedanke machte sie unruhig.
„Wie fühlen Sie sich?” fragte der Arzt zum zweiten Mal. Sie wandte ihm ihre Aufmerksamkeit wieder zu.
„Ganz gut, glaube ich. Was ist denn passiert?” Ihre Stimme klang fremd und dünn. Plötzlich hatte sie das unbestimmte Gefühl, als schöbe sich eine bedrohliche schwarze Wolke unaufhaltsam am Horizont heran, die mit jeder Sekunde wuchs.
„Sie haben eine kleine Verletzung …” Der Arzt unterbrach sich und schaute zu dem schwarzhaarigen Mann hinüber. „Genau gesagt handelt es sich um eine Kopfverletzung. Aber machen Sie sich keine Sorgen, Sie werden bald wieder ganz gesund sein.”
„Eine Kopfverletzung? Wie das denn?”
Der Schwarzhaarige erhob sich und trat an das Bett. Seine Bewegungen waren geschmeidig. Er war einen halben Kopf größer als der Arzt und hatte den Körperbau eines Athleten - breitschultrig und schmalhüftig, mit langen schlanken Gliedern. Während sein Blick auf ihr ruhte, nahm sie in seinen Augen ein Flackern wahr, dessen Herkunft sie nicht zu deuten wusste. „Irgend jemand hat auf Sie
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