Der Cowboy
an ihren Platz, bevor ihr Fehlen jemandem auffiel. Der morgige Tag würde schon schlimm genug werden, auch wenn er nicht erklären musste, was heute Nacht geschehen war.
Vor der Veranda zog er seine Stiefel aus, damit er weniger Lärm machte. Dann trat er in den dunklen Flur. Am liebsten wäre er nach oben in Jos Zimmer gegangen und zu ihr ins Bett gestiegen. Er wusste, dass sie ihn nicht zurückweisen würde. Aber er hatte sich noch einen Funken Würde bewahrt, und der verbot ihm, sich derart zum Idioten zu machen.
Als er gerade die Taschenlampe abstellen wollte, kam ihm eine Idee. Wenn er die Lampe benutzte, musste er das Licht nicht anschalten, und keiner würde ihn bemerken. Er war zwar kein Cowboy, aber er hatte ein Händchen für Zahlen.
Er hatte noch ein paar Stunden bis Tagesanbruch. Genug Zeit, um einen Blick in Jos Bücher zu werfen.
Quinn erschien nicht zum Frühstück, was Jo nur recht war. Trotz des offenen Küchenfensters war die Luft im Raum dick vor Anspannung. Emmy Lou und Fred tauschten wiederholt verschwörerische Blicke aus, während Benny, der wie immer nicht begriff, was vor sich ging, fröhlich vor sich hin plapperte. Schließlich schlug Fred Benny vor, dass sie das Sattelzeug für das Rodeo polieren sollten, und Benny stimmte freudig zu.
“Ich gehe dann mal zum Stall rüber”, sagte Jo und schob ihren Stuhl zurück. “Sherry wird jeden Moment auftauchen.”
“Warte noch einen Moment, Jo”, hielt Fred sie zurück.
Sie setzte sich wieder. “Wenn es um letzte Nacht geht, das geht mich nichts an. Ich freue mich einfach nur für euch beide.”
“Es geht um letzte Nacht.” Emmy Lou wärmte sich die Hände an ihrem Kaffeebecher. “Aber nicht so, wie du denkst. Wir sind keine Kinder mehr und müssen dich nicht um Erlaubnis fragen. Wenn dir unser Verhalten nicht gefällt, dann arbeiten wir eben woanders, nicht wahr, Fred?”
Fred starrte sie an. “Du würdest mir zuliebe die Ranch verlassen?”
“Erstaunlich, was?” Emmy Lou grinste. “Lass dir das aber bloß nicht zu Kopf steigen.”
“Ich hätte nur niemals gedacht …” Er schüttelte verlegen den Kopf und lächelte schüchtern.
“Aber eigentlich wollten wir ein anderes Thema anschneiden”, fuhr Emmy Lou fort.
“Genau.” Fred starrte in seine Kaffeetasse. “Weißt du, Jo, wir haben beide nicht sonderlich viel von Dick gehalten.”
Emmy Lou räusperte sich. “Genauer gesagt hätte ich ihn am liebsten aufgehängt, und zwar an seinen …”
“Em!” Fred warf ihr einen warnenden Blick zu.
“Jo hat sich das sicher auch schon oft ausgemalt”, rechtfertigte sie sich.
“Hab ich”, stimmte Jo zu.
“Wie auch immer”, fuhr Fred fort. “Von
ihm
halten wir jedenfalls viel.”
“Von wem?”
“Von deinem Stadtbürschchen. Er hat das Herz am rechten Fleck, Jo. Er kann zwar kein bisschen reiten, und mit dem Lasso umgehen auch nicht, aber er hat Mumm, und zwar eine Menge. Und darauf kommt es an. Den Rest könnten wir ihm beibringen. Er ist kein Naturtalent, aber er ist entschlossen. Außerdem muss ich sagen, dass ich wirklich beeindruckt war, weil er … äh … letzte Nacht … äh … nicht vergessen hat, sich zu schützen.” Fred trank einen Schluck Kaffee und verschluckte sich.
Emmy Lou klopfte dem hustenden Fred auf den Rücken, während Jo feuerrot wurde und sich fragte, woher Fred das wissen konnte. Sie war sich sicher, dass Quinn kein Beweismaterial hatte herumliegen lassen.
Nachdem Freds Husten nachgelassen hatte, warf Emmy Lou Jo einen mütterlichen Blick zu. “Quinn hat sich aus Freds Vorräten bedient”, erklärte sie. “Fred hat es bemerkt, weil zwei Kondome gefehlt haben.”
“Oh Gott.” Jo vergrub das Gesicht in den Händen. “Ich kann nicht glauben, dass dieses Gespräch wirklich stattfindet.”
Fred war noch immer knapp bei Atem, aber er schien seine Botschaft unbedingt loswerden zu wollen. “Lass das Stadtbürschchen nicht gehen, Jo. Er ist ein guter Junge.”
Jo stiegen die Tränen in die Augen. “Das ist unglaublich lieb von euch, und ich bin euch unendlich dankbar. Aber es gibt da ein winziges Problem. Quinn will nicht bleiben. Und er will kein Cowboy werden.”
Fred wirkte überrascht. “Wieso nicht?”
“Weil er aus New York stammt und Bankier ist. Er hat sich dieses Leben ausgesucht, so wie ich mir die Ranch. Er würde mich gerne ab und zu besuchen kommen, aber er hat kein Interesse daran, auf die
Bar None
zu ziehen.”
“Das hat er gesagt?” Fred kratzte sich am Kopf. Er
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