Der Dämon aus dem grünen See
ausgeschlossen: Drogen, Gift, Medikamente, Alkohol … Nach allen vorliegenden Werten ist er kerngesund, aber irgendetwas hat ihn sehr geschwächt. Möglicherweise hat sein Zustand psychosomatische Ursachen. Hat ihn in letzter Zeit etwas sehr belastet, litt er unter Stress?“
Kann man wohl sagen, dachte Cassie.
„Ich …“ Sie warf einen Seitenblick auf Tom und Linda. „Kann ich kurz allein mit Ihnen sprechen?“
„Natürlich.“ Der Arzt trat mit ihr ein paar Schritte zur Seite.
„Marc ist mein Stiefbruder“, erklärte sie leise. „Wir sind nicht miteinander verwandt. Unsere Eltern haben geheiratet, als wir Kinder waren, und er hat mich immer sehr behütet und beschützt.“ Sie machte eine Pause. „Aber heute habe ich erfahren, dass er offenbar die ganze Zeit über verliebt in mich war. Ich wusste nichts davon, ich habe in ihm immer nur den Bruder gesehen. Doch es muss ihn sehr gequält haben, wenn ich mit anderen Jungs ausgegangen bin. Heute nun …“ Sie schaute zu Tom hinüber. „Tom und ich haben uns heute verlobt. Es sollte nichts Großes sein, nur ein Versprechen für uns, und um das zu feiern, wollten wir vier essen gehen und es dabei meiner Freundin und Marc erzählen. Aber dann hat mein Stiefbruder es vorher herausgefunden und sich furchtbar aufgeregt.“ Unschuldig blickte sie zu dem Arzt auf. „Meinen Sie, es könnte daran liegen?“
Der ältere Mann nickte bedächtig. „Ja, so etwas könnte durchaus der Grund sein. Eine Art Nervenzusammenbruch. Ich danke Ihnen, dass Sie mir das erzählt haben. Ich werde einen Psychologen und Neurologen hinzuziehen. Haben Sie Ihre Eltern schon erreicht?“
„Was hast du ihm erzählt?“, fragte Linda, als sie wieder zu ihnen kam.
„Die Wahrheit“, erwiderte Cassie. „Dass er in mich verliebt war und es nicht ertragen hat, dass ich mit einem anderen Mann zusammen bin.“ Sie griff nach Toms Hand. „Jetzt werden sich Psychologen um ihn kümmern, und ich hoffe, sie können ihm helfen. Ach übrigens, wir sind jetzt verlobt. Weißt du, das war der Auslöser für Marcs Zusammenbruch. Das hat er nicht verkraftet.“
Tom zog sie an sich und küsste sie auf die Nasenspitze. „Dann bin ich ja wirklich froh, dass es nichts Schlimmeres war.“
Nur wenige Stunden später kamen ihre Mom und Pete im Krankenhaus an, und Cassie erzählte ihnen dieselbe Geschichte wie dem Arzt. Allerdings fing sie bei dem Punkt an, wo Marc in der Hütte aufgetaucht und sie fast gewaltsam wieder nach Hause gebracht hatte. Sie zögerte kurz, als sie zu der Stelle kam, wo sie Tom in der University Street getroffen und von Marcs schrecklicher Lüge erfahren hatte. Aber es nützte ja nichts. Das war wirklich passiert, und es brachte niemandem etwas, wenn sie es verschwieg. Im Gegensatz zu dem Teil mit dem Wesen aus dem See, von dem sie in ihrem ganzen Leben sicher keinem Menschen je etwas erzählen würde.
„Es tut mir so leid“, sagte sie, und das meinte sie ehrlich. „Ich hatte keine Ahnung, was er für mich empfindet. Er hat nie etwas gesagt oder getan … nur immer den großen Bruder rausgekehrt, was mit der Zeit ziemlich nervig war.“
Betreten wechselten ihre Mutter und Pete einen Blick. „Uns hat er auch nie was gesagt“, erklärte ihre Mom. „Als du klein warst, fand ich es ja immer ganz rührend, wie er sich um dich gekümmert hat. In letzter Zeit ist allerdings auch mir aufgefallen, dass er es etwas übertreibt. Ich wusste nur nicht, wie ich das ansprechen sollte. Er war immer so empfindlich, wenn es um Cassie ging.“
„Mach dir keine Vorwürfe“, sagte Pete und legte ihr die Hand auf die Schulter. „Er hat sich keinem von uns anvertraut und alles in sich hineingefressen. Du konntest nicht ahnen, was in ihm vorgeht. Wir werden zusammen mit den Ärzten alles für ihn tun, was wir können. Aber vielleicht wäre es gut …“ Pete zögerte, und ihre Mom nahm den Faden auf.
„Die Ärzte meinen, es wäre besser, wenn er dich eine Weile nicht sieht.“ Sie drückte Cassies Hand. „Schatz, das ist nicht böse gemeint, aber er hat sich wirklich sehr aufgeregt und …“
„Schon gut, das kann ich verstehen“, sagte Cassie und schämte sich, weil sie ein bisschen erleichtert war. In den letzten Tagen war einfach zu viel passiert, und sie hatte noch keine Gelegenheit gehabt, in Ruhe ihre Gefühle zu ordnen.
„Weißt du was, warum fahrt ihr drei nicht für uns nach Hawaii?“, sagte Pete in das beklommene Schweigen hinein. „Wir haben das Hotel schon bezahlt,
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