Der Dativ Ist dem Genitiv Sein Tod 1
vielleicht hält sie die Redewendung sogar für korrektes Deutsch. Schließlich hört man es doch täglich im Fernsehen; da kommt einem das »macht Sinn«
irgendwann wie von selbst über die Lippen. Es ist ja auch so schön kurz, prägnant und praktisch. Ob nun richtig oder falsch, was »macht« das schon, solange es jeder versteht.
Es macht vielleicht wirklich nicht viel, nicht mehr als ein Fettfleck auf dem Hemd, als Petersilie zwischen den Zähnen, als ein kleines bisschen Mundgeruch. Doch schon der Kolumnist und Satiriker Max Goldt geißelte den »primitiven Übersetzungsanglizismus« und warnte davor, dass Menschen, die »macht Sinn« sagen, von anderen weniger ernst genommen würden. Das Wort
»machen«, so Goldt, komme ohnehin schon häufig genug vor in der deutschen Sprache.
Womit er allerdings Recht hat. Deutsch ist die Sprache der Macher und des Machens. Das fängt bei der Geburt an (den ersten Schrei machen) und endet mit dem Tod (den Abgang machen). Dazwischen kann man das Frühstück machen und die Wäsche, einen Schritt nach vorn und zwei zurück; man kann Pause machen, Urlaub oder blau, eine Reise ins Ungewisse und plötzlich Halt; man kann eine gute Figur machen und trotzdem einen schlechten Eindruck; man kann den Anfang machen, seinen Abschluss machen, Karriere machen; man kann drei Kreuze machen, Handstand oder Männchen machen; man kann die Nacht durchmachen, ein Opfer kalt-machen, Mäuse, Kies und Kohle und sich ins Hemd machen; man kann andere zur Schnecke machen und sich selbst zum Affen; man kann sogar Unsinn machen – aber Sinn?
»Sinn« und »machen« passen einfach nicht
zusammen. Das Verb »machen« hat die Bedeutung von fertigen, herstellen, tun, bewirken; es geht zurück auf die indogermanische Wurzel mag-, die für »kneten« steht.
Das Erste, was »gemacht« wurde, war demnach Teig.
Etwas Abstraktes wie Sinn lässt sich jedoch nicht kneten oder formen. Er ist entweder da oder nicht. Man kann den Sinn suchen, finden, erkennen, verstehen, aber er lässt sich nicht im Hauruck-Verfahren erschaffen.
Die deutsche Sprache bietet viele Möglichkeiten, den vorhandenen oder unvorhandenen Sinn auszudrücken.
Neben »Das ist sinnvoll« ist ebenso richtig: »Das ergibt einen Sinn«, »Das hat einen Sinn«, »Ich sehe einen Sinn darin«. Um nur eine Ahnung der vielfältigen
Möglichkeiten zu geben, sei hier ein Auszug aus dem monumentalen Lamento-Monolog des sagenumrankten Sinnfried Sinnstifter zitiert, der die Aufforderung, einen sinnvollen Satz ohne »machen« zu formulieren, empört mit folgenden Worten zurückwies: »Warum sollte das sinnvoll sein? Ich sehe keinen Sinn darin! Welcher Sinn sollte sich dahinter verbergen? Das ist vollkommen unsinnig! Ich kann keinen Sinn darin erkennen. Das ist absolut ohne Sinn, es ergibt nicht den geringsten Sinn.
Ich frage Sie, wo bleibt da der Sinn? Liegt denn überhaupt ein Sinn darin? Der Sinn des Ganzen ist unergründbar! Mir vermag sich der Sinn nicht zu erschließen, und je länger ich den Sinn zu ergründen, zu erhaschen, zu begreifen suche, desto deutlicher sehe ich, dass es keinen Sinn hat!«
In ein paar Jahren steht »macht Sinn« vermutlich im Duden-Band 9 (»Richtiges und gutes Deutsch«), dann haben es die Freunde falscher Anglizismen mal wieder geschafft. So wie mit »realisieren«, das auf Deutsch lange Zeit nur »verwirklichen« hieß und neuerdings laut Duden auch die im Englischen übliche Bedeutung
»begreifen«, »sich einer Sache bewusst werden« haben kann. Dass an der Börse Gewinne realisiert werden, ist lange bekannt, denn die Wirtschaft kennt »realisieren«
als Fachterminus für »in Geld verwandeln«; aber neu ist, wenn der Sieger eines Radio-Quiz gefragt wird, ob er seinen Gewinn von 18 000 Euro denn schon realisiert habe? Oder wenn eine Schwimmweltmeisterin nach ihrem dreifachen Triumph in Barcelona im Fernsehen verkündet, sie könne ihre Siege noch gar nicht realisieren, obwohl ihr die Medaillen bereits um den Hals hingen. Und dann dieser tragische Fall aus Voralberg, auf www.orf.at vermeldet: Da war von einer geistig verwirrten Frau die Rede, die neben ihrem toten Mann im Bett lag und die »aufgrund ihrer Krankheit nicht in der Lage« war, »den Tod zu realisieren«.
Wohin das noch führen soll? Womöglich zu
neudeutschen Drehbuchtexten wie diesem: »Wie bitte, dein Mann betrügt dich mit deiner besten Freundin? Das realisier ich einfach nicht! Das macht doch irgendwie total keinen Sinn!«
Visas - die
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