Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 1 (German Edition)
wollte sagen, du kannst ss und ß nicht auseinander halten«, stellte der Jäger richtig, »es klingt entsetzlich; ich wage mir gar nicht vorzustellen, wie das geschrieben aussieht!« – »Esss gibt keinen hörbaren Unterschied zwischen esss esss und Essszzzett!«, erwiderte die Schlange gereizt. »Aber klar doch!«, sagte der Jäger, »hör nur mal genau hin: Es ist schon ein Unterschied,
ob man einen Kloß im Hals hat oder einen Koloss im Haus,
ob man als Verkehrsunternehmer seine Busse bezahlt oder lieber Buße bezahlt,
ob man als Trompeter in Maßen bläst oder in der Masse verblasst,
ob die Kerzen in der Kirche rußen oder Russen in der Kirche husten,
ob man mit Genuss Nüsse isst oder Kartoffelmus mit Soße genießt,
ob man wie ein Schlosshund jault oder einen Schoßhund krault,
ob der Bäcker den Zuckerguss goss oder zu gießen vergaß,
ob man den Fluss im Fass hinunterschoss oder sich auf einem großen Floß den Fuß stieß,
ob man sich gestresst ins Strasskleid presst oder mit Vollgas über die Straße rast,
ob man als kesser Frosch von einer feschen Prinzessin auf die nassen Flossen geküsst wird oder
ob man von einem spaßlosen Spießer, der scheußlich nach Schweiß riecht, süßlich gegrüßt wird …«
»Hör auf!«, jammerte die Schlange, »ich kann nicht mehr! Dasss issst ja unerträglich!« Der Jäger nutzte die intellektuelle Irritation des Kriechtieres, um die Umklammerung zu lockern, sodass er eine Hand frei bekam. »Der Unterschied zwischen ss und ß ist ganz einfach«, sagte er, während er an seiner Tasche nestelte, »und die Regeln sind seit der Rechtschreibreform sogar noch einfacher geworden.« – »Komm mir nicht mit der Rechtschreibreform«, zischte die Schlange giftig, »die gilt hier nicht! Hier gilt dasss Gesssetzzz desss Dschungelsss! Ich glaube nur, wasss ich weisss!« – »Es heißt weiß, nicht weiss !«, insistierte der Jäger. »Hinter kurzen Vokalen steht ss, hinter langen ß, das ist doch kinderleicht! Selbst eine Schlange sollte sich das merken können! Du wirst mich nicht fressen, bevor du den Unterschied zwischen ss und ß begriffen hast!« – »Pech für dich: Ich habe einen Schweizzzer Passs! Für uns Schweizzzer exissstiert dasss Essszzzett nicht! Wir schreiben allesss mit Doppel-sss!« – »Welch ein Zufall«, sagte der Jäger und ließ eine Klinge aufblitzen, »du hast einen Schweizer Pass, ich habe ein Schweizer Messer! Und wenn du mich nicht augenblicklich frei gibst, wirst du doch noch als Handtasche enden!« Entsetzt ließ die Schlange von ihrem Opfer ab und schlängelte sich davon. »Dann eben nicht«, zischte sie verärgert, »issst vermutlich bessser ssso. Wenn ich den verschluckt hätte, hätte ich am Ende doch noch Esss-Ssstörungen bekommen!«
Mit freundlichen Grüßen!
Hier sind die vier goldenen Regeln für den richtigen Gebrauch von ss und ß noch einmal zusammengefasst:
1. Hinter kurzen Vokalen steht grundsätzlich ss, auch am Wortende :
Das Fass war nass nach der Fahrt im Fluss. Ich wusste, dass du ihn geküsst hast, obwohl du ihn gehasst hast . Ich musste den Pass vorzeigen. Nur keinen Stress ! Ich wüsste gern, wie das passiert ist. Das Schloss war offen. Er schoss auf Massen von Gösseln aus Russland.
2. Hinter langen Vokalen steht grundsätzlich ß:
Das große Floß trieb träge dahin. Das Maß ist voll, der Spaß vorbei. Ich vergaß, ihn zu grüßen. Je größer das Verbot, desto süßer das Verlangen. Im Schoß der Familie, zu Fuß über die Straße. Schließlich und endlich fließt alles in den Orkus.
3. Hinter Doppellauten (Diphthongen), das sind au, äu, eu und ei, steht grundsätzlich ein ß, da sie die Natur von langen Vokalen haben:
Ich weiß von nichts. Er war außer sich vor Wut. Er äußerte einen scheußlichen Wunsch. » Reißen Sie sich gefälligst zusammen!«, befahl der preußische Offizier. Mit schweiß nassen Haaren soll man nicht nach draußen gehen.
4. In VERSALIENSCHREIBUNG wird das ß grundsätzlich als SS dargestellt:
ACHTUNG! SCHIESSÜBUNGSGELÄNDE!
PREUSSISCHES MUSEUM
VORSICHT BEIM ÖFFNEN DES REISSVERSCHLUSSES
FUSSGÄNGER STRASSENSEITE WECHSELN!
niemals:
MIT FREUNDLICHEN GRÜßEN
Diese Regeln beziehen sich selbstverständlich nur auf die Fälle, in denen schon immer ein ss oder ein ß verlangt wurde. Wörter wie »Beweis« oder »Kenntnis« werden nach wie vor mit einfachem s geschrieben.
Das Ultra-Perfekt
Die gut informierte Hausfrau weiß: Herkömmliche Vergangenheitsformen sind wie herkömmliche
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