Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 1 (German Edition)
verweiblichende Hauptwort in Wahrheit gar nicht männlich, sondern sächlich ist, so wie das Wort Mitglied, das sich, zu »Mitgliederinnen« vervielfältigt, recht seltsam anhört. An der Uni empfängt man die »Erstsemesterinnen und Erstsemester«, und wer mit jungen Menschen zu tun hat, der unterscheidet ganz selbstverständlich zwischen Teenager und Teenagerin, obwohl der Teenager laut Lexikon ein »Junge oder Mädchen im Alter zwischen 13 und 19 Jahren« ist.
Bekanntlich ist die Kirche eine eher konservative Institution, dort setzt man sich länger als anderswo gegen sprachliche Moden zur Wehr; sonst würden die Gottesdienstbesucher (und -besucherinnen) womöglich schon hier und da als »Liebe Gläubiginnen und Gläubige« begrüßt.
Nicht jeder, der sein Brot in Forschung und Lehre verdient, hält es durch, ständig von »Studentinnen und Studenten«, von »Doktorandinnen und Doktoranden«, von »Assistentinnen und Assistenten« zu sprechen. So machte man sich auf die Suche nach Pluralwörtern, die bereits beide Formen enthalten – und wurde auch fündig: Kurzerhand ersetzte man »Studentinnen und Studenten« durch »Studierende«. Das war deutlich kürzer und trotzdem noch politisch korrekt. Leider allerdings ein grammatikalischer Missgriff: »Studierend« ist nur, wer im Moment auch wirklich studiert, so wie der Lesende gerade liest und der Arbeitende gerade arbeitet. Ein Leser kann auch mal fernsehen und ein Arbeiter Pause machen. Der Lesende aber ist kein Lesender mehr, wenn er das Buch aus der Hand legt, und so ist auch der Studierende kein Studierender mehr, wenn er zum Beispiel auf die Straße geht, um gegen Sparmaßnahmen zu demonstrieren.
Doch lassen wir uns durch Partizipien nicht von Prinzipien ablenken. Sprachästhetik hin oder her, es stellt sich die Frage, ob bei der Feminisierung der Sprache überhaupt konsequent durchgegriffen wird. Denn wer genau hinsieht, muss feststellen, dass die weibliche Form längst nicht in allen Zusammenhängen angewendet wird. Kann man/frau das durchgehen lassen?
Als Bundeskanzler Schröder im Zusammenhang mit dem Thema Dauerarbeitslosigkeit den Begriff »Faulenzer« aufbrachte, löste er damit einen Sturm der Entrüstung aus. Allerdings hat sich niemand darüber ereifert, dass er die »Faulenzerinnen« unterschlagen hatte. Nicht mal in der »taz« gab es Beiträge zur »FaulenzerInnen-Debatte«.
Hat der Bundestag sich schon jemals mit Steuerhinterzieherinnen und Steuerhinterziehern auseinander gesetzt? Interessiert es wirklich niemanden, wie viele Schwarzfahrerinnen und Schwarzfahrer jedes Jahr erwischt werden? Wo bleiben, wenn die Rede von Sozialschmarotzern und Leistungserschleichern ist, die Sozialschmarotzerinnen und Leistungserschleicherinnen?
Sie zu unterschlagen bedeutet positive Diskriminierung. Und wollte man der Diskriminierung nicht gerade entgegentreten? Im Hinterzimmer einer zwielichtigen Kneipe im Hamburger Stadtteil St. Pauli ist man nach wie vor fest dazu entschlossen:
»Du meinst also, dass wir die Wei … äh, die Frauen in Zukunft immer mit nennen?«, fragt Ohrfeigen-Toni verunsichert. »Ganz genau! Ab sofort heißt es Leibwächterinnen und Leibwächter, Kurierinnen und Kuriere, Dealerinnen und Dealer.« – »Hältst du das wirklich für eine gute Idee, Boss?« – »Na klar! Meine Ideen sind immer gut! Und jetzt rufst du die Negerinnen und Neger von der neuen Schnellreinigung an und sagst, wenn sie nicht bis morgen zahlen, dann schicken wir ihnen unsere Schlägerinnen und Schläger auf den Hals!«
In Massen geniessen
»Sie sollten diesen edlen Tropfen in Massen geniessen«, empfiehlt ein Weinhändler seinen Kunden und lässt sie dabei mit der Frage zurück, ob man sich den Rebensaft nun in winzigen Schlucken genehmigen oder in Sturzbächen durch die Kehle laufen lassen sollte. Manche Menschen leiden an Ess-Störungen, andere an Eszett-Störungen.
Die deutsche Sprache gönnt sich manchen Luxus, und einer davon ist die Existenz eines zusätzlichen Buchstabens. Andere Sprachen haben Akzente (á, é, à, è), setzen ihren Buchstaben lustige Hütchen auf (â, ĉ, ê, ŝ), durchbohren sie mit Querbalken (ø), hängen ihnen ein Schwänzchen an (ç, ş), verknoten sie (æ, œ) oder föhnen ihnen wellige Frisuren (ñ, ã), die deutsche Sprache nimmt sich dagegen noch relativ bescheiden aus. Sie erfand die Umlaute und jenen Buchstaben, der im Alphabet zwar nicht vorkommt, in unserer Schriftsprache aber eine so große Rolle spielt, dass er auf
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