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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
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sind das tägliche Brot in der Salzsuppe unserer Sprache.
    Um eine fremde Sprache zu beherrschen, bedarf es nicht nur Kenntnisse des Vokabulars, der Grammatik und der Aussprache. Die größte Hürde stellen die sogenannten Idiome dar: Das sind feststehende Wortgruppen, die nur in ganz bestimmten Zusammenhängen einen Sinn ergeben. Wenn man zum Beispiel etwas nicht bemerkt oder übersieht, dann hat man »Tomaten auf den Augen«. Die Annahme, dass Tomaten generell für eingeschränkte Sinneswahrnehmung stehen, ist nicht richtig. Wer etwas nicht hört, der hat keinesfalls »Tomaten auf den Ohren«. Stattdessen hat er »Bohnen in den Ohren«.
     
    Derlei lexikalisierte Fügungen gibt es Tausende in jeder Sprache. Oft lassen sie sich nicht wortgetreu übersetzen. Mit der deutschen Feststellung »Er fällt mir auf den We-cker!« kann weder ein Engländer (»He’s falling on my clock«) noch ein Franzose (»Il me tombe sur le reveil«) etwas anfangen. Auf Englisch heißt es »He gives me the hump« (wörtlich: Er macht mir einen Buckel) und auf Französisch »Il me casse les pieds« (wörtlich: Er bricht mir die Füße). Mit wörtlicher Übersetzung kommt man nicht weit. Es hilft leider nichts: Um sich halbwegs sicher auf dem glatten Parkett einer Fremdsprache bewegen zu können, muss man ihre Idiome mühsam auswendig lernen.
    Das gilt natürlich auch für die Muttersprache. Denn nicht nur das fremdsprachliche Terrain ist mit idiomatischen Stolpersteinen gepflastert. Auch im Deutschen kann man sich leicht vertun. So passierte es zum Beispiel Uwe Ochsenknecht, der in einem Fernsehinterview über seinen Filmpartner Armin Rohde schwärmte: »Dieser Mann ist ein Herz und eine Seele.«
     
    Einige Menschen scheinen immer am falschen Fuß zu frieren, denn in der Zeitung liest man gelegentlich, wie jemand »auf dem kalten Fuß erwischt« worden ist. Die »Berliner Zeitung« wusste den »kalten Fuß« sogar noch eiskalt zu steigern. In einem Artikel über den Bundestagswahl-kampf 2005 konnte man lesen: »Die geplanten Neuwahlen haben die CDU/CSU auf dem kalten Fuß erwischt, auf einem schon fast erfrorenen aber im Bereich der Kultur.« Füße scheinen übrigens ein grundsätzliches Sprachproblem darzustellen. Über Füße stolpert man jedenfalls besonders oft. Ein Mitarbeiter der Weltgesundheitsorganisation (WHO) klagte in einem Interview mit der »Basler Zeitung« über die Schwierigkeiten im Kampf gegen die Ausbreitung der Vogelgrippe und kam zu dem Schluss: »Mit den konventionellen Maßnahmen stehen wir auf verlorenem Fuß.«
     
    »Lieber ein Schreck mit Ende, als wenn es so weitergegangen wäre«, sagte Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust, nachdem er den erpresserischen Innensenator Ronald Schill entlassen hatte. Pierre Littbarski ist da anderer Meinung, denn von ihm stammt der Ausspruch: »Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schreck mit Ende.« Aber alle sind sich grundsätzlich darin einig, dass es einen Schrecken ohne Ende nicht geben darf. So erhob der DFB-Präsident Theo Zwanziger in einem Interview zum Hoyzer-Skandal mehrmals die Forderung, es müsse nun endlich »ein Schlusspunkt gezogen werden«.
    Bei solch wunderbaren Worten muss ich natürlich an meine Freundin Sibylle denken. Denn die ist eine Sprachakrobatin ganz besonderer Art. Sie versteht es meisterlich, mit bekannten Redewendungen zu jonglieren und dadurch neue Wendungen entstehen zu lassen, die zwar nicht immer einen Sinn ergeben, dafür aber an Originalität kaum zu übertreffen sind 4 . Zu ihrem Repertoire gehören unübertroffene Aussprüche wie »Ab durch die Post!« und »Das ist die Kehrmedaille«. Und manchmal hat sie auch schon »in beiden Stühlen« gesessen.
     
    Sibylles einmaliges Talent als Wortverdreherin entwickelte sich schon sehr früh. Als Kind glaubte sie nicht nur an den Weihnachtsmann und den Osterhasen, sondern an noch so manches andere, wie zum Beispiel an »einäugige Zwil-linge«. »Ich dachte wirklich, die heißen so«, sagt Sibylle heute und lacht. Damals fand sie das freilich gar nicht komisch, und das Phänomen der »einäugigen Zwillinge« hat ihr Rätsel aufgegeben.
     
    Nach ihrer Ausbildung hätte sie sich als Dekorateurin selbstständig machen können, aber sie hatte keine Lust, »Klingeln zu putzen«. Stattdessen hat sie als Tagesmutter gearbeitet. Doch auch das war »nicht das Wahre vom Ei«, sagt sie rückblickend. Sie war es leid, dass ihre Wohnung nach Abholung der Kinder immer aussah, als wäre »eine Bombe

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