Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3
nächsten Supermarkt gelangt.
Weil meine Uhr dauernd nachgeht, bin ich ständig in Eile, denn ich habe große Angst, mich zu verspäten. Auch an diesem Morgen verlasse ich die Wohnung wieder in ziemlicher Hast und wäre um ein Haar mit meiner Nachbarin Frau Jackmann zusammengeprallt. »Na, Sie haben es aber eilig«, ruft sie erstaunt, »wo wollen Sie denn hin? Nach Aldi?« – »Aldi?«, frage ich verwirrt, »was soll ich denn da?« – »Na, da rennen doch jetzt alle hin«, erwidert Frau Jackmann, »wegen diesem Plasma-Fernseher! Den gibt es im Aldi jetzt für 899 Euro!« – »Nein danke«, sage ich, »ich brauche keinen Fernseher – ich brauche eher eine neue Uhr.« – »Dann müssen Sie nach Tchibo! Die haben gerade wieder Uhren im Angebot!« – »Danke für den Tipp!«, rufe ich und eile die Treppe hinab. In der U-Bahn mache ich mir folgende Notiz: Was haben meine Uhr und meine Nachbarin gemeinsam? Beide gehen nach! Die eine zehn Minuten und die andere »nach Aldi«.
Frau Jackmann geht manchmal seltsame Wege, vor allem in sprachlicher Hinsicht. Dass man zu einem Supermarkt geht und nicht nach einem Supermarkt, das wollte ihr bis heute nicht einleuchten. Frau Jackmann geht beharrlich nach Aldi und nach Lidl, und analog zu ihrem Sohn, der jedes Jahr zum Wintersport nach Karlsbach fährt, geht sie regelmäßig zum Winterschluss nach Karstadt.
Die Supermarktkette der Gebrüder Albrecht hat es nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht zu bundesweiter Bekanntheit gebracht – auch als linguistisches Phänomen ist Aldi zu Ruhm gelangt. Denn kein sprachlicher Zweifelsfall entzweit die Deutschen so sehr wie die Frage, ob man nun » zu Aldi« geht oder »nach Aldi«. Und jeder kennt den Witz mit dem Manta-Fahrer, der auf der Suche nach einem Supermarkt neben einem Türken bremst. »Ey, sag mal, wo geht’s hier nach Aldi?«, fragt er. »Zu Aldi«, verbessert der Türke. Der Manta-Fahrer guckt verdutzt: »Was denn, schon nach sechs?«
»Nach« heißt es immer dann, wenn das Ziel eine Stadt, ein Land 7 oder eine Insel ist:
Martin zieht nach Straßburg.
Kreti und Pleti fliegen nach Mallorca.
Theo fährt nach Lodz.
Eine meiner Cousinen, die in Thüringen lebt, verwendet gelegentlich den Ausdruck »Ich fahr auf Polen«. Beim ersten Mal habe ich sie noch verbessert: »Du meinst, du stehst auf Polen.« Da lachte sie mich aus und wiederholte: »Nein, ich fahr auf Polen!« Irgendwann habe ich dann begriffen, dass sie nicht die Menschen, sondern das Land meinte, und dass manche Leute offenbar nicht nach Polen fahren, sondern auf Polen. Diese interessante Verwendung der Präposition »auf« hat vor allem im Ruhrgebiet zahlreiche Anhänger. In der Gelsenkirchen-Version des oben zitierten Witzes fragt der Manta-Fahrer nämlich: »Wo geht’s denn hier AUF Aldi?«, denn in Gelsenkirchen geht man schließlich auf Schalke. Wer nach Schalke geht, der kommt zweifelsfrei nicht von Gelsenkirchen »weg«, sondern von woanders her und wird sich möglicherweise verlaufen.
Doch zurück zur Standardsprache. Wenn das Ziel eine Person ist, dann wird die Präposition »zu« verlangt:
Ich fahre zu Henry.
Wir fliegen zu meinen Eltern.
Elke zieht zu ihrem Freund.
Firmen werden in der Grammatik genauso behandelt wie Personennamen. Meistens ist der Name eines Unternehmens ja aus einem Personennamen hervorgegangen. Für Frau Jackmann scheint es sich bei Karstadt allerdings nicht um eine Firma zu handeln, sondern eher um eine Ortschaft; denn sie geht grundsätzlich »nach Karstadt«. Nun deutet der zweite Bestandteil des Namens ja auch auf eine stadtartige Beschaffenheit hin, und Frau Jackmann beweist immer wieder, dass man sich mühelos einen ganzen Nachmittag in dieser »Stadt« aufhalten kann, ohne dass einem langweilig wird.
Mit der Unterscheidung zwischen »zu« und »nach« ist es übrigens nicht getan. Die deutsche Sprache hat noch mehr zu bieten. In einigen Gegenden geht man nicht zu oder nach, sondern »bei Aldi«, so wie man beispielsweise auch sagt: »Am Sonntag gehen wir alle wieder schön bei der Oma!« Tagtäglich kann man auf unzähligen Spielplätzen in Deutschland den Ruf »Komm bei Mutti!« hören. Nicht zu verwechseln mit »Komm bei Fuß!« – diesen Ruf gibt es natürlich auch. Und wenn die Kinder »bei Mutti« und »bei der Oma« gehen, dann gehen die Erwachsenen konsequenterweise »bei Aldi«. Im Rheinland gehen sie auch gern »bei’n Aldi« – das lässt sich noch besser sprechen. Und
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