Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3
eingebrochen«. Ins Dekorationsgeschäft kann sie inzwischen nicht mehr zurück: »Der Zug ist abgelaufen«, meint sie.
Sibylles Musikgeschmack ist nicht besonders differenziert. Sie hört alles »querfeldbeet«, wie sie sagt. Früher hat sie sehr für Julio Iglesias geschwärmt, aber inzwischen sei »sein Zenit am Sinken«, und als sie das letzte Mal in einer CD-Abteilung nach Julio Iglesias gesucht habe, wusste der Verkäufer nicht einmal mehr, wer das ist, und hat sie allen Ernstes gefragt, ob sie nicht Enrique Iglesias meine 5 . Seitdem bestellt sie ihre CDs lieber im Internet. Dort nimmt sie auch an Auktionen teil, ersteigert leidenschaftlich gern irgendwelche unnützen Dinge und ärgert sich immer maßlos, wenn ihr mal wieder jemand etwas »vor den Fingern weggeschnappt« hat.
Sibylle engagiert sich sehr für ihre Freunde. Wer immer Hilfe braucht – sei’s beim Montieren eines neuen Regals oder bei der Erörterung von Beziehungsproblemen –, der kann auf sie zählen. »Ich habe eben eine soziale Strähne«, sagt sie. Eigentlich ist Sibylle ja sehr tierlieb, daher bin ich nicht sicher, ob sie sich der Bedeutung ihrer Worte bewußt ist, wenn sie einem Touristen erklärt: »Da können Sie zu Fuß hingehen. Das ist von hier nur einen Katzenwurf entfernt!«
Als ihre Schwester schwanger wurde, war Sibylle total überrascht. »Da bin ich aus allen Socken gefallen«, berichtete sie mir später. Inzwischen geht ihr Neffe in die achte Klasse, steckt mitten in der Pubertät und hat Probleme in der Schule. »Wenn der sich nicht auf die Hammelbeine stellt, dann bleibt er sitzen«, prophezeit Sibylle. Zu Weihnachten hat sie ihm mein Buch geschenkt, und er hat sich nicht mal dafür bedankt. »Da kann einem auch als Tante schon mal die Hutschnur platzen!«, empört sie sich.
Bei einer Internetrecherche nach prähistorischen Tieren stieß ich zu meiner Verwunderung auf die Seite des Hochzeitsausstatters confettiwelt.de, der unter der Überschrift »Geldgeschenke kreativ verpackt« folgende Behauptung aufstellte: »Viele Hochzeitspaare wünschen sich Geld- anstatt Sachgeschenke. Sei es nun, da sie ihren Hausstand schon komplett haben oder einfach nur selbst bestimmen wollen, wofür der schnöde Mammut ausgegeben wird.« Das wäre Sibylle nicht passiert. Sie hat sich nämlich mit mir zusammen beide Teile des Films »Ice Age« angesehen und weiß, dass Mammuts alles andere als schnöde sind. Zwar könnte sie nicht erklären, woher das Wort Mammon stammt und was es genau bedeutet 6 , aber dafür hat sie ja mich. Und alles andere steht im Branchenverzeichnis. »Schau am besten in den grünen Seiten nach!«, rät Sibylle mir gern.
Nachdem sie sich von ihrem Freund getrennt hatte, sind wir häufiger zusammen ins Kino gegangen, denn Sibylle brauchte etwas Ablenkung. Inzwischen aber scheint ihr Liebesleben wieder in Schwung zu kommen, denn als ich sie letztens fragte, ob sie sich mit mir »Das Parfum« ansehen wolle, schien es ihr nicht zu passen. »Das wird mir zu spät«, sagte sie, »bei mir stehen morgen um 7 Uhr die Handwerker auf der Matratze.«
4 Siehe auch die Geschichte »Sprichwörtlich auf die Goldschale gelegt« in »Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod, Folge 2«.
5 Enrique Iglesias gibt es natürlich auch, das ist einer von Julios Söhnen.
6 »Mammon« ist ein aramäisch-griechisch-lateinisches Wort für Geld, Reichtum, Besitz. In der Bibel steht es für den personifizierten Materialismus: »Ihr könnt nicht Gott dienen, und dem Mammon« (Matth. 6, 24).
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Von Modezaren und anderen Majestonymen
Was wäre eine demokratische Gesellschaft ohne Könige? Leidenschaftslos wählen wir unsere Parlamentarier, und leidenschaftlich rufen wir immer neue Zaren, Fürsten und Päpste aus. Zum Teufel mit der Bourgeoisie – seid umarmt, ihr Majestäten!
Zwar haben wir die Monarchie vor fast 90 Jahren abgeschafft, doch noch immer wimmelt es in unseren Nach-richten von gekrönten Häuptern. Und dies gilt längst nicht nur für die Regenbogenpresse, die Woche für Woche die Gier ihrer Leserinnen und Leser nach glamouröser und skandalträchtiger Hofberichterstattung stillt und nährt. Über Kaiser und Könige wird auch in anderen Blättern berichtet. Selbst dann, wenn die Persönlichkeiten, um die es geht, in ihrem Leben niemals Kaiser oder Könige gewesen sind. Die Verleihung von Herrschertiteln ist im Jour-nalismus selbstverständlich. Zu jedem großen Namen gehört ein majestätisch klingendes Synonym,
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