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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
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richten:
Ein Drittel unserer Kinder sind/ist zu dick.

Mehr als ein Viertel der Importe kommt/kommen aus China.

Die Hälfte der Arbeiter muss/müssen entlassen werden.
    Stellen Sie sich vor, Sie leiten eine krisengeschüttelte Firma und müssen die Belegschaft um die Hälfte reduzieren. Würden Sie dem Betriebsrat lieber erklären, »die Hälfte der Arbeiter muss entlassen werden« oder »die Hälfte der Arbeiter müssen entlassen werden«?
    Wenn Sie sich für die zweite Möglichkeit entscheiden, lassen Sie erkennen, dass Ihnen die Arbeiter wichtiger sind als die Mengenangabe. Manchmal wird Grammatik auch von Ethik bestimmt.
    Im Zweifelsfall sollte man sich immer für die Klarheit entscheiden. Denn wichtiger als die Einhaltung irgendwelcher Regeln ist es, verständlich zu bleiben und Missverständnisse auszuschließen.
    In einer Lokalzeitung las ich einmal folgenden Satz: »Im Neubaugebiet Ost steht noch immer eine ganze Reihe fertiger Reihenhäuser zum Verkauf«. Die Wahl der Verbform »steht« machte mich stutzig, und ich fragte mich, ob der Redakteur sie bewusst gewählt hatte, weil er eine komplette Reihe von nebeneinanderstehenden Häusern meinte. Wenn er aber nicht unbedingt zusammenhängende, vielmehr über das gesamte Neubaugebiet verteilte Reihenhäuser meinte, so hätte er sich besser für »stehen« entschieden.

    Wenn Angela Merkel in ihrem Kabinett einmal Kahlschlag betreibt und wir aus der Zeitung erfahren: »Ein Drittel der Minister mussten ihren Hut nehmen«, könnte eine hitzige Diskussion darüber entbrennen, ob es nicht besser heißen sollte: »Ein Drittel der Minister musste seinen Hut nehmen«. Damit wäre immerhin klargestellt, dass es sich nicht um den Hut der Kanzlerin handelt. Zum Glück gibt es noch die Möglichkeit, die Minister einfach den Hut nehmen zu lassen, also irgendeinen, ganz neutral, völlig egal, Hauptsache Hut und weg.
    Zu diesem Thema lässt/lassen sich noch eine Menge Gedanken zu Papier bringen, und selbst dann werden/wird immer noch ein Haufen Fragen unbeantwortet bleiben.

Honeckers letzte(n) Tage
    Wenn man als Tourist die »schönsten Schlösser Bayerns« besichtigen will, bekommt man dann »Bayerns schönsten Schlösser« zu sehen oder »Bayerns schönste Schlösser«? Werden im Radio »Madonnas größte Erfolge« gespielt oder »Madonnas größten Erfolge«? Alles eine Frage der Beugung!
    Unlängst stellte mir eine Leserin über Facebook eine interessante Frage. Sie war auf der Internetseite der ARD über eine Ankündigung gestolpert, in der es hieß: »In seiner packenden Dokumentation ›Der Sturz‹ untersucht Eric Friedler Honeckers letzte Tage in Deutschland.« Die Leserin wollte nun von mir wissen, ob es nicht »Honeckers letzten Tage« gewesen seien – mit einem »n« am Ende.
    Das brachte mich ins Grübeln. Denn die Frage zu beantworten, war eine Sache. Die Antwort plausibel zu begründen, eine andere. Ersetzt man »Honeckers« nämlich durch das Pronomen »seine«, dann heißt es »seine letzten Tage«. Warum dann also nicht auch »Honeckers letzten Tage«? Um das zu verstehen, muss man etwas tiefer im Erdreich der Grammatik graben.
    Das Wort »letzte«, um das es hier geht, ist ein Eigenschaftswort (Adjektiv), und weil es vor einem Hauptwort (»Tage«) steht, ist es außerdem ein Attribut. Adjektivattribute sind Eigenschaftswörter, die Hauptwörtern vorangestellt sind, so wie »blond« in »blondes Haar« oder »kanadisch« in »kanadischer Honig«. Zwar können auch Hauptwörter Attribute sein, so wie »Amerika« in »Amerikas Präsidenten« oder »Lübeck« in »Lübecker Marzipan«, doch um die geht es hier nicht. Hier geht es um Adjektivattribute.
    Wie ein Adjektivattribut gebeugt wird, hängt zunächst vom Hauptwort ab, vor dem es steht. Das ist konsequent: Da es die Aufgabe von Attributen ist, Hauptwörter zu beschreiben, müssen sie sich auch nach diesen richten. Und da es beim Hauptwort einerseits auf das Geschlecht (Genus) ankommt, andererseits auf Einzahl oder Mehrzahl (Numerus) und schließlich auf den jeweiligen Fall (Kasus), richtet sich auch die Endung des Attributs nach diesen drei Kategorien.
    Als wäre das nicht schon kompliziert genug, wird die Endung des Attributs noch von einer vierten Sache bestimmt: dem Deklinationstyp. Da gibt es einen starken Typ, einen schwachen und einen gemischten. Welcher Typ gefragt ist, hängt davon ab, was vor dem Attribut steht.
    »Guter Rat ist teuer«, heißt es. Das Hauptwort »Rat« ist männlich, steht

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