Coraline
1 .
K urz nach dem Umzug entdeckte Coraline in dem Haus, in das sie gezogen waren, die Tür.
Das Haus war schon sehr alt. Unter dem Dach hatte es eine Mansarde und tief unten im Boden einen Keller und es gehörte ein überwucherter Garten mit riesigen alten Bäumen dazu.
Coralines Familie besaß nicht das ganze Haus – dafür war es zu groß. Ihnen gehörte nur ein Teil davon.
Es gab noch andere Leute, die in dem alten Haus wohnten.
In der Wohnung unter Coraline, im Erdgeschoss, wohnten Miss Spink und Miss Forcible. Beide waren alt und rund und sie lebten in ihrer Wohnung mit einer ganzen Reihe von alternden weißen Terriern, die Namen wie Hamish und Andrew und Jock hatten. Früher einmal waren Miss Spink und Miss Forcible Schauspielerinnen gewesen, wie Miss Spink Coraline gleich bei ihrer ersten Begegnung erzählt hatte.
»Du musst nämlich wissen, Caroline«, sagte Miss Spink und brachte Coralines Namen durcheinander, »sowohl ich als auch Miss Forcible waren zu unserer Zeit berühmte Schauspielerinnen. Wir standen auf den Brettern, die die Welt bedeuten, Herzchen. Ach, gib Hamish nichts von dem englischen Kuchen, sonst kriegt er wieder Bauchschmerzen und kann die ganze Nacht lang nicht schlafen.«
»Ich heiße Coraline. Nicht Caroline. Coraline«, sagte Coraline.
In der Wohnung über der von Coraline, unterm Dach, wohnte ein verrückter alter Herr mit einem großen Schnurrbart. Er erzählte Coraline, dass er einen Mäusezirkus trainierte. Den durfte aber niemand sehen.
»Eines Tages, kleine Caroline, wenn sie alle so weit sind, wird jeder auf der Welt die Wunder meines Mäusezirkus sehen. Du willst wissen, warum du ihn jetzt noch nicht sehen kannst. Darum hattest du mich doch gebeten?«
»Nein«, sagte Coraline leise. »Ich hatte Sie gebeten, mich nicht Caroline zu nennen. Ich heiße Coraline.«
»Es gibt einen Grund dafür, dass du den Mäusezirkus jetzt noch nicht sehen kannst«, sagte der Herr von oben. »Die Mäuse sind noch nicht so weit, haben ihre Kunststücke noch nicht eingeübt. Außerdem weigern sie sich, die Lieder zu spielen, die ich für sie geschrieben habe. Die Lieder, die ich den Mäusen geschrieben habe, gehen alle humba-wumba . Aber die weißen Mäuse spielen immer nur didel - düdel, so was in der Art. Ich hab mir schon überlegt, ob ich es mal mit anderen Käsesorten probieren soll.«
Coraline glaubte nicht daran, dass es wirklich einen Mäusezirkus gab. Bestimmt hatte sich der alte Mann das alles nur ausgedacht.
Als sie eingezogen waren, ging Coraline gleich am nächsten Tag auf Entdeckungsreise.
Sie machte einen Erkundungsgang durch den Garten. Der Garten war groß – ganz hinten war ein alter Tennisplatz, aber niemand im Haus spielte Tennis, der Zaun um ihn herum hatte Löcher und das Netz war so verrottet, dass der größte Teil davon fehlte. Es gab einen alten Rosengarten mit kümmerlichen, verlausten Rosensträuchern; einen Steingarten, der nur aus Steinen bestand, und einen Feenring aus matschigen braunen Pilzen, die einen entsetzlichen Gestank verbreiteten, wenn man versehentlich drauftrat.
Außerdem gab es noch einen Brunnen. Miss Spink und Miss Forcible war es sehr wichtig gewesen, Coraline bei ihrem Einzug gleich am ersten Tag darauf hinzuweisen, wie gefährlich der Brunnen war, und sie ermahnten sie eindringlich, sich von ihm fernzuhalten. Also zog Coraline los, um ihn zu erkunden, damit sie wusste, wo er war, und sich auch ordentlich von ihm fernhalten konnte.
Am dritten Tag entdeckte sie ihn hinter einer Baumgruppe auf einer wild wuchernden Wiese neben dem Tennisplatz – ein niedriger Kreis aus Backsteinen, der vom hohen Gras fast verborgen wurde. Der Brunnen war mit Brettern abgedeckt, damit niemand hineinfiel. Eins der Bretter hatte ein kleines Astloch und Coraline verbrachte einen ganzen Nachmittag damit, Kieselsteine und Eicheln durch das Loch zu werfen und zu warten und zu zählen, bis sie das Plopp hörte, mit dem die Sachen tief unten auf dem Wasser aufschlugen.
Außerdem ging Coraline auf Entdeckungsreise nach Tieren. Sie fand einen Igel und eine Schlangenhaut (aber keine Schlange) und einen Stein, der genau wie ein Frosch aussah, und eine Kröte, die genau wie ein Stein aussah.
Dann gab es noch einen hochmütigen schwarzen Kater, der auf Mauern und Baumstümpfen saß und sie nicht aus den Augen ließ, aber gleich davonhuschte, wenn sie zu ihm ging und mit ihm spielen wollte.
So brachte sie die ersten beiden Wochen im neuen Haus zu – mit der
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