Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod: Folge 5
Zusammenhängen häufig auf. Ihre Kollegin dürfte somit etwas vorschnell geurteilt haben. Vielleicht war sie aber auch vom Schweizerischen beeinflusst, denn in der Schweiz wird nur das Wort »Fahne« gebraucht; die »Flagge« hat dort keine Verbreitung gefunden, was unter anderem mit der geringen Anzahl an Schweizer Seehäfen zu erklären ist.
Einigen Deutungen zufolge wird die »Fahne« auch als Gesamtheit aus Stange und Tuch gesehen. Demnach aber müsste eine Aussage wie »Die Fahne flattert im Wind« unpräzise sein, da nur das Tuch wirklich flattert, während die Stange bestenfalls hin- und herschwankt. Die Definition »Flagge = Fahnentuch; Fahne = Flagge plus Stange« ist zu eng gefasst. In meinem Leben als Korrekturleser und Autor habe ich jede Menge Druckfahnen gesehen, und die hingen nie an einer Stange. Auch die Schnapsfahne kommt ohne Mast aus (wiewohl sie sich gelegentlich um einen Laternenmast wickelt). Ob über dem Reichstag nun eine Fahne oder eine Flagge weht, soll mir egal sein, solange diese beiden nicht noch mit anderen Symbolen durcheinandergeworfen werden.
In einem Zeitungsartikel zur Fußballweltmeisterschaft stand einmal zu lesen: »Viele Fans haben sich das Gesicht mit der deutschen Flagge bemalt.« Daraufhin fragten mich mehrere Leser, ob es nicht »Fahne« heißen müsse. »Nein«, erwiderte ich, denn weder das eine noch das andere war zutreffend. »Eine Fahne taugt ebenso wenig zum Malen wie eine Flagge«, schrieb ich zurück, »die Fans haben sich das Gesicht in den deutschen Farben bemalt.«
Flaggen und Fahnen tauchen auch in einigen Redewendungen auf. Dort sind sie allerdings nicht austauschbar. Wer »Flagge zeigt«, also Farbe bekennt, der zeigt nicht Fahne. Wer sich etwas »auf seine Fahne schreibt«, schreibt es sich nicht auf seine Flagge. Das erinnert mich an jenen Satz, den ein Sportreporter der »Süddeutschen Zeitung« im Juli 2005 über Jan Ullrich schrieb: »Er belegte einen enttäuschenden 12. Platz. Viel entscheidender ist allerdings, dass er in der ersten Schlacht gegen Lance Armstrong mit Fliegen und Fahnen unterging.«
Vom Weiblichen des Schiffs
Die »Deutschland«, die »Astor«, die »Bremen«: Man fragt sich, warum Schiffe eigentlich immer weiblich sind, selbst wenn sie die Namen von Männern, Städten oder Ländern tragen. Hinter dem scheinbaren Paradoxon steckt ein alter Anglizismus.
Der Hamburger Hafen gilt seit jeher als touristische Attraktion, doch seit dort im Juli 2004 zum ersten Mal die »Queen Mary 2« einlief, ist er für Touristen noch um einiges attraktiver geworden. Inzwischen hat die »Queen Mary 2« bereits 25 Mal in Hamburg festgemacht, und noch immer lockt ihr Besuch Heerscharen von Schaulustigen an.
Auch an diesem lauen Abend im August hatten sich wieder Tausende Menschen am Hafen eingefunden, um der »Queen« beim Auslaufen zuzuwinken und sich am Feuerwerk zu ergötzen. Endlich war es so weit: Ein dreimaliges, lang anhaltendes Tuten kündete vom Ablegen des Transatlantikliners. Gemächlich entfernte er sich vom Kreuzfahrt-Terminal, schob sich vorbei an dem, was einmal die Elbphilharmonie werden soll, und passierte schließlich die Landungsbrücken, wo Henry und ich uns unter die Sehleute gemischt hatten. Der Versuch, ein Foto von Henry mit dem Dampfer im Hintergrund zu schießen, erwies sich als schwierig. »Ich bekomme ihn nicht drauf«, stellte ich fest, »er ist einfach zu breit!« – »Wen meinst du?«, fragte Henry entrüstet, »doch nicht etwa meinen Bauch?« – »Ich meine natürlich die Queen«, erwiderte ich. »Und warum sagst du dann ›er‹?«, beschwerte sich Henry. »Weil es ein Dampfer ist«, erklärte ich. Nun war Henry erst recht entrüstet: » Es? Es ist ein Dampfer? Die Queen ist ein ›Es‹? Das ist Majestätsbeleidigung!« Ich blieb ungerührt: »Dieses schwimmende Luxushotel ist sowohl ein Er als auch ein Es – denn in erster Linie ist sie ein Schiff. Ein Linienschiff sogar.« – »Das stimmt!«, bemerkte Henry. »Und weil die Queen ein Schiff ist, hat sie auch ein Recht darauf, wie eine Dame angesprochen zu werden. Alle Schiffe haben nämlich eines gemeinsam: Sie sind weiblich!« Henry und das weibliche Geschlecht haben auch etwas gemeinsam: Es ist nicht leicht, ihnen zu widersprechen.
Passend zu diesem Ereignis stieß ich anderntags in einem Leserbrief auf folgende Frage: »Können Sie mir erklären, warum Schiffsnamen immer weiblich sind? Bei der Queen Mary sehe ich das ja ein, aber bei Namen wie Columbus, Peter
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